Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.754

 

für möglich erachtet hat, Frenzel könne in die Luft geschossen haben, Philipp Bia., zwar auch von Schüssen anlässlich der Transport-Abwicklung aber eher für den Bereich des Lagerinneren gesprochen hat, erscheint die Bekundung des Zeugen Mar. zu wenig abgesichert, als dass Feststellungen zum Nachteil des Angeklagten darauf gestützt werden könnten.

 

Die Schilderungen der Zeugen Philipp und Symcha Bia., Esther Raa. und Eda Lic. über ein anderes Detail, das sich anlässlich dieses Transportes ereignet haben soll und welches in besonders markanter Weise die innere Einstellung des Angeklagten bedeuten würde, konnten nicht mit Sinne der Zeugenaussagen als sicher zutreffend festgestellt werden.

 

Nach der Bekundung Philipp Bia. will dieser gehört haben, wie Frenzel gesagt habe, "was für ein wunderbares Bild ist das doch", als er gesehen habe, dass ein Kind auf dem furchtbar geschwollenen Bauch der Mutter gewesen sei. Auch sein Bruder, der Zeuge Symcha Bia., hat so etwas geschildert, sogar noch etwas makaber, indem er bekundet hat, dass er gesehen habe, dass Frenzel ein Foto von einer grossen schweren Frau gemacht habe, die sehr aufgebläht gewesen sei und auf deren Bauch ein Kind gesessen habe. Er will, allerdings über einen Bericht seines Bruders, auch von einem Ausspruch (allerdings von Frenzel oder Wagner) gehört haben, derjenige habe gesagt, welch ein herrliches Bild das gewesen sei.

 

In der Bekundung der Zeugin Raa. findet sich eine scheinbar unterstützende Beschreibung. Nachdem sie nämlich geschildert hat, dass einige der Leichen schon so furchtbar aufgequollen gewesen seien, berichtet sie von den Leuten vom Bahnhofskommando erzählt bekommen zu haben, dass Bäuche sogar offen gewesen seien, dass Gedärme herausgeschaut hätten und ein Baby mit den Gedärmen der Mutter gespielt habe. Während sie in der jetzigen Beweisaufnahme über etwa gefallene Äusserungen nichts mehr bekundet hat, hat sie dann auf Vorhalt allerdings eingeräumt, im Ermittlungsverfahren gegenüber dem vernehmenden Staatsanwalt etwas über eine Bemerkung eines Deutschen bekundet zu haben, und zwar dahin, dass sei "mal etwas ganz Besonderes gewesen"; allerdings habe sie seinerzeit diese Bemerkung dem damaligen Beschuldigten Wol. 449 zugeschrieben und habe damit dessen innere Einstellung im Lager kennzeichnen wollen. Gerade in letzterer Bemerkung sieht die Kammer einen wichtigen, erklärenden Gesichtspunkt dafür, wie es zu den vorstehend wiedergegebenen Schilderungen der Zeugen gekommen sein kann.

 

Sieht man einmal davon ab, dass die drei genannten Zeugen untereinander stets Kontakt behalten haben, von daher der Gedanke nicht fern liegt, dass der Hinweis Symcha Bia., er habe den Ausspruch von seinem Bruder gehört, zutreffend andeutet, dass jener als erster berichtet hat, so etwas als wörtliche Rede gehört zu haben und die anderen seine Erzählung bewusst oder unbewusst in die eigene Darstellung des Lemberg-Transportes übernommen haben, deuten sich zwei Erklärungen dafür an, wie es zu Motivationen der Zeugen für ihre Aussagen gekommen sein kann. Zum einen könnten sie die Redensart konfabuliert haben, um das grauenhafte Gesamtbild jenes Transportes besser verbalisieren zu können, zum anderen deswegen, um die generelle innere Einstellung der SS-Männer zu kennzeichnen, die sie dann jeweils namentlich angesprochen und - an sich im Kern zutreffend - mit der Transportabwicklung in Verbindung gebracht haben.

 

Die vorstehende These zeigt nur die Bedenken der Kammer auf, Feststellungen zum Nachteil des Angeklagten zu treffen, er habe so etwas wirklich gesagt, habe gar Fotos von jenem Ereignis gemacht. Nach allem, was über die Einstellung des Angeklagten und sein Auftreten in Sobibor bekannt geworden ist, fällt jene Schilderung aus dem Rahmen dessen, was über sein sonstiges Auftreten dort bekannt ist.

 

449 Siehe Lfd.Nr.642.