Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.751

 

Bekundungen zuverlässigen Zeugen Ka., der erklärte, man sei beim Kommando allgemein der Ansicht gewesen, dass in Nikolajew überwiegend Juden eingesetzt worden seien. Nachdem durch die glaubhaften Bekundungen der Zeugen Daw., Bud. und Kap. nachgewiesen ist, dass man in Kiew zuerst auf die im Lager Syrezk vorhandenen jüdischen Häftlinge zurückgegriffen hat, und nachdem weiterhin aufgrund der insoweit ebenfalls überzeugenden Angaben der Zeugen Ki., Trü., Le., Ka., Löb. und auch Beh. festzustellen war, dass später in Riga ausschliesslich Juden für die Enterdungsarbeiten abgestellt wurden, verblieben dem Gericht keine Zweifel mehr, dass die Zeugen Le. und Ka. die diesbezüglichen Tatsachen in Nikolajew zutreffend erkannt haben. Ihre Aussagen bestätigen nur die nach den geschichtsbekannten Umständen fast zwingende Vermutung, dass im Zuge der "Endlösung" zunächst die noch greifbaren Juden zu der grässlichen Arbeit, die mit Sicherheit zum Tode führte, eingeteilt wurden. Ein Grund, weshalb man in Nikolajew hätte anders verfahren sollen, ist nicht erkennbar.

 

An dieser Überzeugung des Gerichts konnten die Angaben der Zeugen Dr. Köl. und He. nichts ändern. Beide Zeugen konnten aus eigener Wahrnehmung ohnehin nichts bekunden. Die Aussage des Zeugen Dr. Köl., eines alten Freundes des Angeklagten Zie. - mit dem er zugegebenermassen noch am Abend vor seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung Bier trank und dem gleich er sich als "alten Kämpfer in der Partei und SS" bezeichnet - wirkte trotz ihrer im Ergebnis nachteiligen Auswirkungen für Zie. bestellt und war jedenfalls insoweit völlig unglaubwürdig, als der Zeuge als einziger aufgrund eines im Jahre 1943 mit Zie. geführten Gespräches etwas davon wissen wollte, dass dem Angeklagten Zie. in Nikolajew Häftlinge "mit Urteil" aus dem Gefängnis gestellt worden seien. Es klang geradezu absurd, dass die beiden über solche Einzelheiten, die nicht einmal der zuständige KdS kannte, bei einer flüchtigen Begegnung an der "Front" gesprochen haben sollten, obwohl Zie. zu strengster Geheimhaltung verpflichtet war. Noch merkwürdiger mutete an, dass der Zeuge das 25 Jahre zurückliegende Gespräch in allen Einzelheiten im Kopfe behalten haben müsste, obwohl die Geschichte für ihn damals zu keinem lebendigen, durch Tatsachenbeobachtungen eindringlichen Vorgang geworden war. Ernstere Beachtung verdiente die Bekundung des Zeugen He., er habe seinerzeit gerüchtweise gehört, die Leichenvernichtung in Nikolajew werde von "Todeskandidaten" ausgeführt. Doch steht dies dem oben Ausgeführten nicht entgegen. Als wirkliche "Todeskandidaten" betrachtete man in dem Sinn, wie es der Zeuge verstanden wissen will, keinesfalls nur tatsächlich bereits formell zum Tod bestimmte Menschen. Unter diesen Begriff fielen in Anbetracht des nationalsozialistischen Machtmissbrauchs im Osten unter anderem selbstverständlich alle Juden, aber auch sonstige einheimische Zivilisten, die aus politischen Gründen willkürlich verfolgt und in Ausführung der gegebenen rechtswidrigen Grundsatzanordnungen getötet werden konnten. Schliesslich lässt sich durchaus denken, dass die befohlene Erschiessung der Arbeitshäftlinge am Ende jedes Einsatzes das Gerücht entstehen liess, sie seien "Todeskandidaten". Konnte sonach der Zeuge He. die Behauptung Zie.s, er habe seines Wissens nur zum Tode Verurteilte "beschäftigt", nicht bekräftigen, so bewirkte die glaubhafte Versicherung des Zeugen, im Gebiet von Nikolajew seien damals keine Partisanen aufgetreten, sogar das Gegenteil; denn Zie. will es ja mit verurteilten Partisanen zu tun gehabt haben. Auffällig ist schliesslich, dass selbst der verstorbene Zeuge Fie. bei seiner Vernehmung in russischer Gefangenschaft nichts davon erwähnte, dass es sich bei den zu den Exhumierungsarbeiten abgestellten Häftlingen um zum Tode verurteilte Leute gehandelt habe. Dabei hätte die Angabe einer solchen entlastenden Tatsache gerade unter den für Fie. bei der Vernehmung gegebenen Umstände besonders nahegelegen. Allerdings können insoweit Mängel der Protokollierung nicht ausgeschlossen werden. Immerhin räumte aber Zie., der der Niederschrift über die Vernehmungen des Zeugen Fie. selbst einen "nicht unerheblichen Beweiswert" zuerkennt, ein, dass Fie. "mit erstaunlicher Genauigkeit" die Zahl von 34 in Nikolajew bei der Enterdung eingesetzten Häftlingen nenne. Dennoch ging das Schwurgericht, um auf alle Fälle zu keiner zu hohen Zahl zu kommen, und unter Berücksichtigung der glaubhaften Schätzungen der Zeugen Le., Ka., Löb. und Ad. zugunsten der Angeklagten davon aus, dass