Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.749

 

Der Angeklagte Streitwieser leugnet die Tat. Er hält es zwar für möglich, dass ein solcher Vorfall geschehen sei und hat auch in der Hauptverhandlung zugestanden, zur Tatzeit Arbeitsdienstführer gewesen zu sein. Doch müsse er als Täter mit einem anderen SS-Mann verwechselt worden sein. Er glaube nicht, dass er überhaupt jemals einen Bibelforscher auch nur geohrfeigt habe, weil er immer nur aus begründetem Anlass geschlagen habe und Bibelforscher nach seiner Lagererfahrung niemals auch nur die geringste Disziplinlosigkeit begangen hätten. Keinesfalls aber habe er jemals einen Bibelforscher so heftig geschlagen, dass der Geschlagene gestorben sei. Er bezweifle auch, dass ein Bibelforscher vom Alter des Opfers zur Tatzeit überhaupt im Lager gewesen sein könne. Denn Bibelforscher seien ja nur wegen Kriegsdienstverweigerung ins Lager gekommen, und damals - 1939 - habe eine Dienstpflicht für 40-50jährige noch nicht bestanden.

 

Die Einlassung des Angeklagten ist im Sinne der getroffenen Feststellungen widerlegt. Den Vorfall haben in seinem Kerngeschehen drei Tatzeugen - die Zeugen Scht., Wis. und Wa. - übereinstimmend und glaubhaft bekundet.

 

Alle drei Zeugen haben übereinstimmend als Tatort den alten Appellplatz des KL Mauthausen bezeichnet. Zur Tatzeit kann allerdings nur der Zeuge Scht. noch genauere Angaben machen: Der Vorfall habe sich in dem strengen Winter 1939/40 zugetragen. Der Zeuge Wa. lässt als Zeitpunkt die Jahre 1939 und 1940 offen, dem 1. oder 2.Jahr seiner 1939 erfolgten Einlieferung in das KL Mauthausen. Doch lässt sich die Tatzeit - da der Angeklagte Streitwieser als Täter festgestellt ist - auf Ende 1939 konkretisieren, da Streitwieser ab Weihnachten 1939 nicht mehr im Hauptlager Mauthausen Dienst tat.

 

Alle drei Zeugen haben zum Tatverlauf bekundet, dass Streitwieser anlässlich eines Appells einen Bibelforscher mit einem einzigen Schlag zu Boden gestreckt habe. Jeder einzelne der Zeugen schliesst einen Irrtum hinsichtlich der Person des Täters mit Sicherheit aus.

Alle drei Zeugen haben schliesslich übereinstimmend bekundet, dass nach ihrem Wissen der Häftling an den Schlagfolgen verstorben sei. Der Zeuge Scht. hat den Tod in seiner Funktion als Blockältester persönlich festgestellt, ihn der Verwaltung gemeldet und das Leichenträgerkommando benachrichtigt, das den Toten auch später abgeholt hat. Dass dem Zeugen Scht. hinsichtlich seiner Todesfeststellung kein Irrtum unterlaufen ist, ergibt sich unter anderem auch daraus, dass der Bibelforscher nicht mehr in den Block des Zeugen zurückgekommen ist. Die Zeugen Wis. und Wa. haben von näheren Bekannten des Bibelforschers am Abend gehört, dass er an dem Schlag verstorben sei.

 

Die Zeugen Scht., Wis. und Wa. sind persönlich glaubwürdig. Der Zeuge Scht. war zum Tatzeitpunkt schon seit längerer Zeit Häftling und kannte den Angeklagten Streitwieser bereits aus dem Konzentrationslager Esterwegen. Er besitzt heute noch ganz ausgezeichnete Ortskenntnisse des Konzentrationslagers Mauthausen. Seine Aussage ist in sich widerspruchslos und völlig bestimmt. Hass- und Rachegefühle sind bei ihm nicht ersichtlich. - Zwar hat der Zeuge vor dem Krieg einige Strafen u.a. wegen Betruges erhalten; doch hat er offenbar nach dem Kriege in ein geordnetes und bürgerliches Leben zurückgefunden; denn die Vorstrafen sind inzwischen gelöscht. Insgesamt hat der Zeuge auf das Gericht einen völlig glaubwürdigen Eindruck gemacht. Auch der Zeuge Wis. hat auf das Gericht einen guten und glaubwürdigen Eindruck gemacht. Er hat ein hervorragendes Gedächtnis für die Örtlichkeiten und Vorkommnisse im KL Mauthausen bewiesen. Seine Aussage ist vorsichtig und zurückhaltend. Er unterscheidet genau, zwischen dem, was er noch sicher weiss, was nur wahrscheinlich ist und was er vom Hörensagen kennt. Hassgefühle gegen die Angeklagten waren nicht ersichtlich, wenngleich der Zeuge seine ehrliche Erschütterung bei der Rückerinnerung nicht verbergen konnte.

Auch der Zeuge Wa. ist - wie bereits an früherer Stelle erörtert - ein glaubwürdiger Zeuge und hat gerade bezüglich Belastungen des Angeklagten Streitwieser besondere Zurückhaltung gezeigt.