Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.748

 

schon objektiv sehr zweifelhaft, weil E. bereits am 28.8.1943 aus Kiew wegversetzt wurde und deshalb ohnehin nur noch ganz kurz etwas mit der Gestellung von Häftlingen zu tun gehabt haben könnte; sie wurde dazuhin auch von dem schwerkranken Zeugen E. - mit dessen Aussagefähigkeit und -bereitschaft Soh. offenbar nicht gerechnet hatte - nachdrücklich verneint. E. war es, der im Gegenteil als erster auf das Lager Syrezk als "Bezugsstelle" für die Häftlinge hinwies. Dieser Hinweis erwies sich aufgrund der von ganz anderer Seite, nämlich den russischen Zeugen Daw., Bud. und Kap. gemachten Angaben, die ihrerseits in den Bekundungen der Zeugen Wro., Han., Kat. und Kle. eine Bestätigung fanden, als völlig richtig. Nach diesen Aussagen steht fest, dass mindestens die ersten ca. 200 der in Babij-Yar eingesetzten Gefangenen, darunter die drei russischen Zeugen, aus dem nur einige 100 m entfernten Lager Syrezk herangeschafft wurden. Es war mit Sicherheit auszuschliessen, dass Soh. als der nächste nach Blobel davon nicht gewusst hätte. Die Gründe, warum er dieses Wissen leugnete, sind durchsichtig. Das Verteidigungsvorbringen, man habe geglaubt, in den Häftlingen todgeweihte Partisanen vor sich zu haben, liess sich nämlich nur aufrechterhalten, wenn die wahre Herkunft der Häftlinge im Dunkeln blieb.

 

Aus den glaubhaften Angaben der drei russischen Zeugen, die zu denjenigen gehören, welchen seinerzeit die Flucht aus dem grösseren der beiden Erdbunker gelang, ergab sich demgegenüber, dass sich unter den nach Babij-Yar gebrachten Häftlingen allein ca. 100 Juden befanden, die man bis dahin im Lager Syrezk als wichtige Fachhandwerker festgehalten und am Leben gelassen hatte. Gegen keines dieser Opfer lag, wie die Zeugen glaubhaft versichern, irgend ein formelles Urteil oder ein individueller, auf einem - sei es auch noch so kursorischen - Verfahren beruhender Erschiessungsbefehl vor. Vor allem der Zeuge Daw., der seine Angaben in auffällig sachlicher, nüchterner und jeder Übertreibung abholder Art gemacht hat, bekundete klar, dass man zum Tod "verurteilte" Gefangene nach seinen Beobachtungen überhaupt nicht erst in das "Arbeitserziehungslager" Syrezk eingeliefert, sondern sogleich irgendwo hin zur Erschiessung geführt hat. Der Zeuge Bud. schilderte glaubhaft, dass man die für die Enterdungsarbeiten bestimmten Häftlinge einfach am Lagertor abgezählt habe, und auch Kap. bestätigte, dass er nicht einmal nach seinem Namen gefragt worden sei. Das ist ebenfalls ein Hinweis dafür, dass die Häftlinge nicht wegen irgendwelcher für todeswürdig erachteten Taten für diesen Einsatz ausgewählt worden sind. Dass tatsächlich keiner der etwa 200 Häftlinge, die von dem "Arbeitserziehungslager" Syrezk nach Babij-Yar geschickt wurden, ursprünglich etwas begangen hatte, was - selbst nach damaligen Gepflogenheiten - mit seiner Erschiessung zu ahnden gewesen wäre, wurde schliesslich völlig sicher durch die Aussage des verstorbenen Zeugen Wag. Dieser Zeuge, der ab 1942 in der Abteilung IV der KdS-Dienststelle in Kiew als SS-Obersturmführer dem Zeugen E. unterstand, gab in gänzlich anderem Zusammenhang an, dass in Kiew drei Möglichkeiten der Bestrafung der einheimischen Zivilbevölkerung durch den hierfür zuständigen KdS bestanden:

1. Überstellung an den Arbeitseinsatz, Stab Rosenberg;

2. Überstellung an das von Radomski geleitete "Arbeitserziehungslager" (Syrezk);

3. die Todesstrafe.

 

Wag. bestätigte ferner, dass, abgesehen von ausnahmsweise in das "Arbeitserziehungslager" eingewiesenen jüdischen Fachhandwerkern oder Spezialkräften - sie waren als Juden grundsätzlich anonyme Todeskandidaten - solche Gefangenen, die durch schriftliche Verfügung des KdS zum Tode verurteilt waren, nicht erst in das Lager verbracht, sondern einmal wöchentlich gruppenweise in Babij-Yar erschossen wurden. Da sich die Aussagen des Zeugen Wag., der kraft seiner Dienststellung auf alle Fälle den nötigen Einblick hatte, mit dem deckt, was die drei auf der Opferseite stehenden russischen Zeugen, vor allem der Zeuge Daw. hierzu glaubhaft bekunden können, verblieben dem Schwurgericht keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Darstellung. Aus alledem folgte, dass von den ersten 200 in Babij-Yar eingesetzten Häftlingen keiner zum Tode verurteilt oder ein todeswürdiger Verbrecher (nach damaligen Begriffen) war. Dem entspricht, dass die Häftlinge, wie die