Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.746

 

Eda Lic.s darauf hin, dass diese Zeugin nicht frei von Irrtumsanfälligkeit oder der Neigung zur oft unrealistischen Ausschmückung ist.

 

Der Zeuge Szm. hat, offenbar verbunden mit der Vorstellung, Wagner sei zu der Zeit noch Leiter des Lagers I gewesen, den Vorfall mal gleichfalls in den Sommer 1942 verlegt. Eher beiläufig hat der Zeuge Szm. in einem anderen Vernehmungszusammenhang in der jetzigen Hauptverhandlung deutlich gemacht, dass er die Arbeiten an Minen, die er in seiner Spenglerei durchgeführt habe, doch wohl zum Ende des Jahres 1942 hin gemacht habe. Weitere Anhaltspunkte für seine zeitliche Einordnung hat er nicht vermittelt. Szm. hat auch in seiner jetzigen Bekundung zum Kerngeschehen gewisse Unsicherheiten offenbart, mal hat er erklärt, insgesamt seien vier bis sechs, später nach Vorhalten weitergehend erklärt, 8 bis 12 Arbeitsjuden seien von Frenzel ausgewählt und ins Lager III geschickt worden.

 

Auch der verlesenen Aussage Hon. ist zu entnehmen, dass er die Flucht in eine Regennacht im Juli oder August 1942 einordnet. Auf diesen Zeugen allein vermag die Kammer nichts zu stützen, zu wenig nachvollziehbar sind seine früheren Erklärungen z.B. dazu, dass er schon einmal im Winter 1942 nachts durch die Minenabsperrungen gekrochen sei, die auf 12 Meter Breite in 6-8 Reihen schachbrettartig verlegt gewesen seien, dass er nach seiner Flucht wieder eingefangen und von Izbica mit Lastwagen zusammen mit anderen nach Sobibor gekommen und schliesslich mit vom Waldkommando aus erneut geflohen sei.

 

Die weitere Überlegung, ob die häufig genannte Angabe, jeder 10. sei ausgesondert und insgesamt seien 10 Mann ins Lager III geschickt worden, mit hinreichender Sicherheit den Schluss zulasse, das ganze müsse sich deswegen in der ersten Lagerphase ereignet haben, weil nur in der ersten Zeit eine auf etwa 100 Arbeitsjuden begrenzte Zahl von Häftlingen im Lager gewesen sei, hat nicht zu einer Klärung geführt:

 

Die Zahlenangaben der einzelnen Zeugen sind nämlich insgesamt betrachtet gar nicht einheitlich genug, um als Ausgangspunkt einer solchen Schlussfolgerung zu dienen. Sie schwanken zwischen den Angaben, wie sie etwa die Zeugen Ron. - jeder 3., insgesamt 20 bis 30 -; Zi. - jeder 3., insgesamt 10 bis 20 Arbeitsjuden -; Bah. - jeder 5. oder 10., insgesamt 10 oder 20 Arbeitsjuden -; bis hin zu den Zeugen Bla. - jeder 10., insgesamt vielleicht 20 - und Mar. - jeder 10., insgesamt 10 trotz 400 bis 500 vorhandener Arbeitsjuden - gemacht haben. Gerade die letztgenannte Zeugenaussage, Mar. hat sich ausführlich und sehr überzeugend mit dem Vorgang in seiner Aussage auseinandergesetzt, deutet ein weiteres an, dass zwar zunächst in einer erläuternden Ansprache, die nach der Aussage vieler Zeugen Frenzel gehalten haben soll, davon die Rede gewesen ist, jeder 10. würde herausgenommen, dass tatsächlich davon aber im Verlaufe der weiteren Abwicklung des Geschehens möglicherweise davon Abstand genommen worden ist. Auch die Bekundung des Zeugen Tho. deutet so etwas an, der sogar berichtet hat, es seien zunächst 20 ausgesucht worden, dann sei Niemann hinzugetreten und habe 10 wieder zurückgeschickt. Auch die Aussage des Zeugen Bla., Frenzel habe nicht korrekt jeden 10. herausgenommen, deutet in diese Richtung.

 

Der These der Verteidigung, jene erst später ins Lager gekommenen Zeugen würden der Wahrheit zuwider bekunden, sie hätten den Vorfall selbst miterlebt, stehen jedoch weitere Gesichtspunkte entgegen: Zum einen haben Zeugen, die unzweifelhaft mit zu den ersten gehört haben, die im Lager Sobibor gewesen sind, ausdrücklich das Jahr 1943 dafür genannt, dass die zwei Handwerker entflohen seien. Zum anderen haben Zeugen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit Berichte und Aussagen gemacht haben, zwischenzeitlich aber selbst verstorben sind, in jenen Dokumenten zeitliche Zusammenhänge festgeschrieben, die nicht mit dem Argument angezweifelt werden können, sie seien zur Abstützung eines "Aussagekomplotts" oder deswegen gemacht worden, um falsche Aussagen anderer abzusichern.