Justiz und NS-Verbrechen Bd.VIII

Verfahren Nr.260 - 297 (1950 - 1951)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.293a LG Kassel 12.10.1951 JuNSV Bd.VIII S.745

 

Lfd.Nr.293a    LG Kassel    12.10.1951    JuNSV Bd.VIII S.746

 

am ganzen Krieg teil und wurde zweimal leicht verwundet. Bis Herbst 1919 blieb er als Offiziersstellvertreter bei der Abwicklungsstelle seines Regiments in Kassel. Anschliessend trat er in die Polizei ein. Er tat Dienst bei verschiedenen Dienststellen der Polizei in Kassel. Im Jahre 1936 übernahm er die Leitung des 8. Polizeireviers, das aus den neu eingemeindeten Ortschaften südlich von Kassel bestand. Bei Kriegsbeginn übernahm der inzwischen zum Polizeiinspektor ernannte Angeklagte zwei Polizeihundertschaften in der Polizeikaserne. Im Jahre 1943 wurde er dem Chef des neugebildeten Abschnittskommandos West als Luftschutzsachbearbeiter zugeteilt. In demselben Jahr erhielt er den Rang eines Hauptmanns der Schutzpolizei. Vor der Einnahme Kassels durch die Amerikaner setzte sich der Angeklagte Ha. mit dem Angeklagten T. nach Regensburg ab, wo er gefangen genommen aber bald wieder entlassen wurde. Am 22.5.1945 traf er wieder in Kassel ein. Er arbeitete zunächst in der Landwirtschaft und dann als Kanalarbeiter. Seit 1946 ist er als kaufmännischer Angestellter tätig.

 

II.

 

Ende März 1945 näherten sich die amerikanischen Truppen von Süden und Südwesten her der Stadt Kassel. Zu Beginn der Karwoche, die am 25.3.1945 ihren Anfang nahm, wurde Kassel durch Rundfunk zur Festung erklärt. Ein schriftlicher Befehl darüber erging den militärischen Dienststellen Kassels, an deren Spitze der Zeuge Generalmajor E. 211 als Stadtkommandant stand, nicht zu. Mit der Erklärung Kassels zur Festung übernahm die Wehrmacht unter Führung des Zeugen E. die gesamte vollziehende Gewalt. Die Zivilbehörden, darunter die ordentlichen Gerichte, verliessen daraufhin Kassel in der Mitte der Karwoche. Kassel war zu diesem Zeitpunkt durch wiederholte schwere Luftangriffe zu 80 bis 85% zerstört. Die Bevölkerungszahl der Stadt war auf 1/5 herabgesunken. Ausserdem lebten in Kassel etwa 25000 ausländische Arbeiter. Die Einstellung dieser Personen gegenüber der deutschen Bevölkerung war als Folge ihrer Erlebnisse im nationalsozialistischen Deutschland begreiflicherweise feindselig, teilweise hasserfüllt.

In der Stadt herrschten in Erwartung des Feindes bange Unruhe und Nervosität. Man befürchtete Artilleriebeschuss und schwere Luftangriffe, durch die Kassel sturmreif gemacht werden sollte. Wesentliche Kräfte zu einer wirksamen Verteidigung der Stadt standen nicht zur Verfügung. Dem Kampfkommandanten standen vor allem ohne Rücksicht auf Tauglichkeit rasch zusammengestellte Einheiten aus Genesenden, jüngsten Rekruten, von der Strasse weggeholten Urlaubern, Versprengten, Ausländern der SS-Einheiten und aus 16 und 17 Jahre alten Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes zur Verfügung. Daneben wurden die Männer der Stadtwacht Kassel zu Volkssturmeinheiten zusammengestellt. Schliesslich wurden dem Kampfkommandanten nach Erklärung der Stadt Kassel zur Festung die dort befindlichen Polizeieinheiten unterstellt.

 

In Kassel fungierte zu Kriegsende als Polizeipräsident der Zeuge Wie., der zugleich in der SS den Rang eines Brigadeführers inne hatte. Dem Angeklagten T. als Kommandeur der Schutzpolizei unterstand die Schutzpolizei und die Luftschutzpolizei. Daneben gab es in Kassel unter einem besonderen Kommandeur die Feuerlöschpolizei. Bereits in der Weihnachtszeit 1944 hatte der Befehlshaber der Ordnungspolizei in Erfurt als vorgesetzte Dienststelle des Kasseler Polizeikommandos befohlen, dass die Polizeikräfte in Kassel bei Feindannäherung zu Kompanien und Bataillonen zusammenzustellen und der Wehrmacht zu unterstellen seien. In Ausführung dieses Befehls wurden vorsorglich die Schutzpolizei, die Luftschutzpolizei und die Feuerwehr papiermässig unter jeweiliger Aufteilung in Kompanien zu Bataillonen erklärt, ohne dass sie tatsächlich Bataillonsstärke gehabt hätten. Die Unterlagen über diese Einteilung für den Ernstfall wurden an den Zeugen E. als Stadtkommandanten geschickt. Entsprechend diesen Plänen hat der Angeklagte T. nach vorbereitenden Besprechungen mit dem Zeugen E., an denen auch der Zeuge Wie. teilgenommen hat, am 29.3.1945 die in Kassel vorhandenen Polizeikräfte tatsächlich in Bataillone und Kompanien eingeteilt und dem Zeugen E. übergeben. Mit der Führung des aus der Schutzpolizei gebildeten Bataillons wurde der Angeklagte Ha. beauftragt. Das Bataillon aus den Kräften der Luftschutzpolizei wurde dessen Führer, dem Zeugen F., unterstellt.

 

211 Siehe Lfd.Nr.198 und 317.