Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.737

 

Raa. hat zwar früher berichtet, Cuk. habe tagelang bewusstlos gelegen. Damit hat sie seinerzeit offenbar überzeichnet. In der jetzigen Hauptverhandlung hat sie sich hierzu nach Vorhalten nicht mehr so klar geäussert. Der Koch Cuk. selbst hat in der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung 1963 hiervon nichts berichtet, nicht einmal davon, dass er Kopfverletzungen erhalten habe, letztere hat er 1976 sehr hervorgehoben.

 

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Angaben Frenzels hierzu nicht zu widerlegen sind. Das gilt letztlich auch dafür, dass er nicht selbst die Schläge ausgeteilt haben will, dies vielmehr einem Kapo überlassen hat, allerdings während der gesamten Bestrafung anwesend geblieben ist. Es spricht zwar vieles für die Richtigkeit der Bekundungen der Zeugen, der Angeklagte habe in diesem Fall selbst gepeitscht. Im Hinblick auf die bereits angedeuteten Widersprüchlichkeiten der Aussagen zu dem Ereignis konnte sich die Kammer jedoch nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen, Frenzel habe in diesem Fall selbst zugeschlagen; es erscheint auch im Hinblick auf den Umfang der Bestrafung, es waren zwei Bestrafungen zu je 25 Hieben angeordnet, recht plausibel, wenn Frenzel meint, er habe sich mit so viel Arbeit nicht selbst die "Hände schmutzig gemacht".

 

Für die vom Angeklagten Frenzel selbst bestätigte Erschiessung der etwa 150 Arbeitsjuden im Lager III nach Entdeckung eines Tunnels, der der Flucht dienen sollte, hat die Beweisaufnahme wenig an weiterführenden Erkenntnissen erbracht. Zwar haben u.a. die Zeugen Bah., Ler., Tho., Zi. und Raa. einen derartigen Vorgang mehr oder weniger deutlich erinnern können, doch haben weder ihre Bekundungen noch die verlesenen Aussagen anderer Auskunftspersonen wie etwa Fre. und Hersz Cuk. zuverlässig Informationen vermitteln können, die eine Teilnahme des Angeklagten an jenem Vorgang zur Überzeugung des Gerichts belegen könnte.

 

Fest steht allerdings, dass die zeitliche Verknüpfung, die der Angeklagte selbst angedeutet hat, die Erschiessung jener Arbeitsjuden müsse gerade gewesen sein, nachdem die 70 Holländer ebenfalls zum Erschiessen weggebracht worden seien, richtig ist. Vor allem der Zeuge Ler. hat diese Verknüpfung in seiner Bekundung deutlich gemacht. Aber auch aus dem von Bluna Wasser 1945 protokollierten Bericht Fre. stellt 442 seine ausführliche Schilderung über die Erschiessung aller jüdischen Arbeitskräfte im Lager III nach Entdeckung des Tunnels in den zeitlichen Zusammenhang mit der Überstellung der 70 Holländer in das Lager III zur Erschiessung. Anders als noch das Schwurgericht 1966 hat das Gericht aufgrund der jetzigen Beweisaufnahme nicht mehr einzelne Begleitumstände jener Erschiessungsaktion feststellen können; auch nicht, dass der Angeklagte selbst den Arbeitsjuden des Lagers I anschliessend eine Ansprache gehalten, sie mahnend auf das Schicksal der anderen hingewiesen habe.

 

Die Kammer hat sich kein eigenes Bild mehr von dem Zeugen Hersz Cuk. machen können, der sowohl vom Hagener Schwurgericht 1966 443 als auch vom Schwurgericht in Frankfurt 1977 444 als besonders glaubwürdig eingeschätzt worden ist. Die sich aus den verlesbaren unterschiedlichen Aussagen ergebenden wirklichen oder scheinbaren Widersprüche konnten nicht mehr von den Zeugen erklärt werden.

 

Auch der Zeuge Bla. hat bekundet, dass einmal in Lager III viel geschossen worden sei; wenig später sei viel Zeug und Schuhe in Loren aus Lager III gebracht worden und ihnen sei klar gewesen, dass alle dort befindlichen Arbeitsjuden erschossen worden seien. Der Zeuge

 

442 Gemeint ist wohl: Aber auch in dem von Bluna Wasser 1945 protokollierten Bericht stellt Fre.

443 Siehe Lfd.Nr.642.

444 Siehe Lfd.Nr.885.