Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.732

 

Arbeitshäftlinge für niemanden sichtbar. Er bemühte sich vielmehr offensichtlich darum, solchen Anlässen möglichst fernzubleiben und in sie, wenn es nicht anders ging, mit möglichst geringer Verantwortung einzugreifen. Die Tötungen der schuld- und wehrlosen Opfer hielt er für krasses Unrecht und sie waren ihm zuwider. Es kann durchaus sein, dass ihn seine Erlebnisse beim Einsatzkommando 6 in Schachty, insbesondere der Befehl, auch kleine Kinder erschiessen zu lassen, aufgerüttelt und ihm die ganze Ungeheuerlichkeit der von den Nationalsozialisten betriebenen Vernichtungspolitik vor Augen geführt hatten. So scheint Helfsgott seinerzeit auch tatsächlich - mit Erfolg - bei dem BdS in Kiew Dr. Thomas darum gebeten zu haben, dass er nach dem Einsatz in Schachty anderweitig, nämlich zur Partisanenbekämpfung, eingesetzt wurde. Dr. Thomas soll ihm sogar, als ihn der Angeklagte schliesslich davon zu überzeugen vermochte, dass er sich nach seiner inneren Haltung und militärischen Ausbildung eher für den Kampfeinsatz eigne, zugesichert haben, dass er künftig nicht mehr an Exekutionen von Zivilisten teilzunehmen brauche. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Helfsgott gegenüber dem KdS Dr. Lange auf eine derartige Zusage berufen hat. Möglicherweise hat er auch versucht, seinen Aufgaben durch eine ungerechtfertigte Krankmeldung vorübergehend auszuweichen, wenn es zum Schlimmsten, nämlich den Erschiessungen, kam. Unwiderlegt blieb, dass Dr. Lange deshalb am dritten Tag einen Arzt zu ihm schickte und, weil eine Krankheit nicht festzustellen war, einen strengen Verweis erteilte, verbunden mit der Anordnung, dass der Angeklagte die KdS-Unterkunft in Riga zu verlassen und zu seiner Einheit in die Baracke zu ziehen habe.

 

Trotz erheblicher Zweifel musste es schliesslich auch für möglich gehalten werden, dass der Angeklagte, der von Ende Juli bis August 1944 ohnehin im Urlaub war, um von dem Kommando wegzukommen, die erste Meldung bei dem ihm dienstlich bekannten, stellvertretenden BdS und KdS in Libau, Dr. Fuchs, dazu benützte, diesen zu bewegen, ihm eine andere Verwendung zu verschaffen, dass Dr. Fuchs aber in dieser Hinsicht nichts auszurichten vermochte, weil der besondere Gegenstand der "Geheimen Reichssache" eine andere Verwendung eines Eingeweihten nach höherer Auffassung grundsätzlich nicht zuliess. Das gleiche Schicksal hat, wie nicht zu widerlegen ist, die Bemühung des Angeklagten erlitten, von dem SS-Gruppenführer Streckenbach zu dessen lettischer Waffen-SS-Division, die im Baltischen Raum eingesetzt war, weggeholt zu werden. Es kann sein, dass der Angeklagte in dieser ihm ausweglos erscheinenden Situation aus Angst, sich schuldig machen zu müssen oder gar am Ende aus Geheimhaltungsgründen von den Eigenen liquidiert zu werden - was von zahlreichen Kommandoangehörigen befürchtet wurde -, erwogen hat, gemeinsam mit seinem Schulkameraden, dem Fahrer Scholz, nach Schweden zu fliehen, und dass aus diesem Plan nur wegen Treibstoffmangels nichts wurde.

 

Jedenfalls nahm Helfsgott die ihm befohlenen Aufgaben, soweit sie sich auf die Tötung der Häftlinge bezogen, nicht in innerer Bereitschaft, sondern aus Angst vor den Folgen einer offenen Befehlsverweigerung für sein Leben wahr. Gegenüber dem wegen seiner Schärfe gefürchteten Dr. Lange wagte er es nicht, um seine Ablösung von dem Enterdungskommando nachzusuchen, obwohl er auch daran dachte. Er hielt einen solchen Versuch für aussichtslos und dazuhin gefährlich. Mit Radomski als dem später eingetroffenen Gesamtkommandoführer im Nordabschnitt war ein vernünftiges Gespräch unmöglich. Ebensowenig konnte sich Helfsgott mit Aussicht auf Erfolg an Blobel wenden, der ihm ohnehin nur zweimal kurz zu Gesicht kam.

 

C) Die vom Sonderkommando 1005 B vorgenommenen Enterdungen in der Umgebung von Riga

 

a) Auch im Raume Riga sind 1941 bis 1943 im Rahmen der "Endlösung der Judenfrage" Zehntausende unschuldiger Männer, Frauen und Kinder jeden Alters niedergemetzelt worden. Eine genaue Zahl der Massenexekutionen ist nicht erhoben; doch ist sicher, dass damals mehrere grosse Erschiessungsaktionen stattgefunden haben, bei denen die Opfer mit