Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.731

 

Allerdings erwies es sich als denkbar, dass Blobel evtl. im Frühjahr 1944 an Dr. Lange - unabhängig von dessen Dienststellung als KdS - gewisse Führungsfunktionen für den Einsatz des Sonderkommandos 1005 B übertragen hat, weil damals in dem ehemaligen Leiter des Arbeitserziehungslagers Syrezk in Kiew, dem auch in SS-Kreisen schlecht beleumundeten Sturmbannführer Radomski, der mit Verfügung des Reichssicherheitshauptamtes vom 28.3.1944 Blobel zugeteilt worden war, kein geeigneter Repräsentant im Nordabschnitt zur Verfügung stand und vielleicht auch deshalb, weil Dr. Lange mit seiner energischen und kompromisslosen Einsatzbereitschaft in den Augen Blobels als ein besonders vertrauenswürdiger und gesinnungstreuer SS-Führer erschien, dessen Mitwirkung wegen seines persönlichen Interesses an der Bereinigung der Gräber und seiner Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen der Sache nur förderlich sein konnte.

 

Jedenfalls sah Helfsgott aufgrund der ihm bekannt gewordenen Umstände in Dr. Lange der für ihn und das Teilkommando 1005 B unmittelbar zuständigen Vorgesetzten. Diese atypische Unterordnung eines Gliedes der Aktion 1005 unter einen KdS könnte von Blobel auch deswegen bewusst veranlasst worden sein, weil Helfsgott unter ganz anderen Voraussetzungen als Soh. und Zie. zu seiner Führerstellung innerhalb der Aktion 1005 gekommen war. Die sich mit rapider Beschleunigung verschlechternde Kriegslage hatte die Aktion 1005 nur zu Teilerfolgen kommen lassen. Die Hoffnung, alle Spuren der Verbrechen rechtzeitig verwischen zu können, konnte nicht mehr aufrechterhalten werden. Das mag das ursprünglich ausserordentlich starke Interesse der Führungsstellen an der Aktion 1005 wesentlich vermindert haben. Es kam hinzu, dass die Angehörigen des Kommandos, insbesondere aber die sogenannte "Grubenmannschaft", wegen der Art ihres Auftrags und des damit verbundenen Alkoholmissbrauchs zu einem rohen und auch äusserlich ziemlich verwahrlosten "Haufen" herabsanken und damit das ursprüngliche, geheimnisumwitterte Ansehen ihrer Formation rasch untergruben. Was anfänglich als höchst bedeutsame Angelegenheit mit elitärer Führerauslese gedacht worden war, stand daher z.Zt. der Ernennung Helfsgotts bereits im Ruf eines makabren, wüsten Totengräberkommandos, dem in den Augen der Verantwortlichen zwar immer noch hohe Bedeutung, aber nicht mehr in dem früher angenommenen Grade zukam. Deshalb hatte man bei der Besetzung der frei gewordenen Stelle des Teilkommandoführers keine Rücksicht auf die anfängliche Vorstellung der nationalsozialistischen Führung, dass nur besonders verdiente Mitglieder der Bewegung als Einheitsführer der Bedeutung der Sache angemessen seien, mehr zu nehmen brauchen. Vielmehr war es unter den gegebenen Verhältnissen und der angespannte Personallage einfach darum gegangen, einen rangmässig geeigneten, zuverlässig erscheinenden SS-Führer zu finden. In Helfsgott sah man den passenden Mann, da er dienstlich gut beurteilt wurde und immerhin als Führer des Aussenkommandos Schachty früher schon Exekutionen geleitet und sich damit selbst in die geschehenen nationalsozialistischen Verbrechen verstrickt hatte. Nach seiner Vergangenheit in der Partei war er jedoch ein völlig farbloser, nicht einmal durchschnittlicher SS-Führer. Das könnte für Blobel ein Grund gewesen sein ihn der besonderen Überwachung und Leitung durch Dr. Lange zu unterstellen.

 

Möglich wäre auch, dass sich Dr. Lange als ranghöherer Führer in seiner ehrgeizigen und selbstherrlichen Art gegenüber Helfsgott einfach gewisse Zuständigkeiten anmasste. Dies wäre schon deshalb begreiflich, weil es ihm als früherem Führer eines in Riga eingesetzten Einsatzkommandos nicht gleichgültig sein konnte, ob die Leichen dieser ermordeten Menschen den Russen in die Hände fielen. Dem pflichtbewussten Angeklagten Helfsgott leuchtete es ein, dass die von den Einsatzkommandos im Zuge der "Endlösung der Judenfrage" hinterlassenen Massengräber beseitigt werden mussten. Er war aufgrund seiner früheren Erfahrungen als Leiter von Exekutionen längst zur Einsicht gekommen, dass mit der "Endlösung" Massenverbrechen grössten Ausmasses begangen worden waren. Dies vor den vorstossenden Russen zu verheimlichen, schien ihm für den "Ruf und die Ehre des deutschen Volkes" (HV-Prot. S.486) notwendig zu sein. Insoweit setzte er sich voll und ganz für seinen Auftrag ein. Hingegen wurde eine ähnliche Aktivität Helfsgotts bei den Erschiessungen der