Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.730

 

Angeklagten Zie. wurde der Angeklagte Helfsgott, zu der Zeit noch SS-Obersturmführer, ernannt. Hierüber unterrichtete ihn in Lemberg der BdS Böhme. In der ersten Aprilwoche wurde die Einheit - allerdings ohne den Angeklagten Helfsgott, der getrennt nachfolgte, - zuerst nach Kattowitz und von dort aus am 9.4.1944 schliesslich zur Wiederaufnahme der Leichenausgrabungen nach Riga transportiert. Zunächst wurde das Kommando mehrere Wochen lang in dem ca. 20 km südöstlich von Riga liegenden grossen Arbeitserziehungslager Salaspils untergebracht, bis das erste "Enterdungsvorhaben" in dem sich östlich von Riga ausdehnenden Waldgebiet genügend vorbereitet war. Das Lager Salaspils unterstand der Befehlsgewalt des KdS Dr. Lange, eines verhältnismässig jungen, sehr ehrgeizigen und energischen SS-Sturmbannführers, der ebenso fanatischer Nationalsozialist wie Judenhasser war und persönlich als Vertreter des BdS Riga an der Wannsee-Konferenz vom 20.1.1942 teilgenommen hatte. Er hatte das Lager speziell für politische Häftlinge einrichten lassen und in der hier interessierenden Zeit vorwiegend mit jüdischen Gefangenen besetzt.

 

Helfsgott fuhr mit einem PKW dem Kommando nach. Als Fahrer war ein Kommandoangehöriger namens Scholz, ein ehemaliger Klassenkamerad des Angeklagten, eingesetzt. Es ist möglich, dass Helfsgott erst von Scholz auf der 2-tägigen Reise näheres über die in der Ukraine durchgeführten Enterdungen erfahren und dass ihm der BdS Böhme zuvor in Lemberg lediglich eröffnet hat, dass Helfsgott "ein technisches Kommando in Abwehrsachen" zu übernehmen habe, das schon eingearbeitet sei, bei welchem aber vom neuen Einheitsführer gewisse mannschaftsinterne Unzuträglichkeiten wieder in Ordnung zu bringen seien. Böhme mag dabei nur noch hervorgehoben haben, dass es sich um einen streng geheimen Auftrag handle, im übrigen aber Helfsgott wegen alles weiteren an den KdS in Riga, Dr. Lange, verwiesen haben. Spätestens jedenfalls Dr. Lange, bei dem sich Helfsgott in Riga sofort meldete, ehe er sein Teilkommando 1005 B aufsuchte, weihte ihn in alle Einzelheiten der in der Umgebung Rigas bevorstehenden Enterdungsmassnahmen ein und machte ihn, soweit notwendig, mit dem grundsätzlichen Inhalt der "Geheimen Reichssache 1005" vertraut. Helfsgott musste sich schriftlich zum Stillschweigen über die Angelegenheit verpflichten. Dr. Lange, der im Zeitraum 1941/42 selbst zeitweilig Führer eines Einsatzkommandos in Lettland gewesen war und in dem berüchtigten Stahlecker-Bericht die detaillierten Meldungen über die von den Einsatzkommandos dieser Einsatzgruppe ausgeführten Morde an jüdischen Männern, Frauen und Kindern zusammengestellt hatte, nannte dem Angeklagten Zahl, Grösse und genaue Lage der im Raume Riga auszuräumenden Massengräber. Spätestens bei dieser Gelegenheit erfuhr der Angeklagte auch, dass die dem Sonderkommando 1005 B zugewiesenen Zwangsarbeitskräfte nach Abschluss der jeweiligen Arbeiten an einer "Baustelle", bei länger dauernden Einsätzen sogar mehrmals im Abstand von 2 bis 3 Wochen, zu erschiessen seien, weil nur so die Verbreitung der von den Häftlingen gemachten Beobachtungen im gegnerischen Lager ausgeschlossen werden könne. Vielleicht war der Angeklagte darüber zuvor schon inoffiziell informiert worden. Durch den KdS Dr. Lange wurde Helfsgott ferner davon unterrichtet, dass zu den Enterdungsarbeiten im Raume Riga ausschliesslich jüdische Häftlinge, die allein aus rassischen Gründen in Lagern festgehalten wurden, herangezogen werden würden. Dies war später in der Praxis auch ausnahmslos der Fall. Dr. Lange eröffnete dem Angeklagten, dass die Exekutionen der jüdischen Arbeitskräfte Sache des Sonderkommandos unter Helfsgotts Leitung sei und dass Helfsgott als Teilkommandoführer persönlich dafür hafte, dass kein Gefangener entkomme.

 

Trotz dieser "Befehlsausgabe" hatte sich bis dahin grundsätzlich nichts an der Selbständigkeit und sachlichen Unabhängigkeit der Enterdungskommandos, hier des Sonderkommandos 1005 B, gegenüber anderen Dienststellen unterhalb des Reichssicherheitshauptamtes geändert. Nach wie vor kam den BdS- und KdS-Dienststellen bei der Aktion 1005 lediglich eine Hilfsfunktion zu. Wie überall hatte Blobel auch in Riga, möglicherweise schon 1943, in persönlichen Verhandlungen mit BdS und KdS das Vorhaben vorbereitet, so dass über die Kompetenz-Verteilung bei der Durchführung des Sonderauftrags grundsätzliche Klarheit herrschte.