Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.032c KG 30.06.1948 JuNSV Bd.I S.721

 

Lfd.Nr.032c    KG    30.06.1948    JuNSV Bd.I S.724

 

hat, genügt es, dass der Täter den Verfolgten bewusst der willkürlichen und unmenschlichen Gewalt des Naziregimes überliefert hat.

 

Die Handlung der Angeklagten war auch objektiv und subjektiv unmenschlich. Die objektive Unmenschlichkeit folgert das Schwurgericht daraus, dass die Art und Weise, in der Strafverfahren gegen politisch Verfolgte häufig durchgeführt wurden, insbesondere aber die Strafverfolgung Goerdelers den Grundsätzen der Menschlichkeit widersprach. Das Schwurgericht schliesst sich damit dem früheren Urteil des Senats an. Es hat, ohne dies ausdrücklich auszusprechen, nach dem ganzen Zusammenhang der Gründe sagen wollen, dass in derartigen Verfahren dem Angeklagten nicht die in einem Rechtsstaat selbstverständlichen Rechte der Verteidigung gewährt, sondern dass er der willkürlichen und unmenschlichen Behandlung nicht nur durch die unteren Organe der Strafverfolgung, sondern auch durch die Richter ausgesetzt, kurz gesagt: nicht dem Richter, sondern dem Henker überliefert wurde.

 

Die subjektive Unmenschlichkeit des Handelns der Angeklagten wird von dem Urteil etwas knapp behandelt. Das beruht zunächst darauf, dass es die Frage der Verfolgung aus politischen Gründen und der des unmenschlichen Handelns zu sehr miteinander vermengt. Beide Fragen gehen aber in diesem Fall ineinander über. Das Urteil stellt fest, dass der Angeklagten die Gewalt- und Unterdrückungsmethoden des nationalsozialistischen Systems bekannt waren. Es hätte erwartet werden können, dass das Urteil angesichts der von den Sachverständigen gewürdigten minderwertigen Persönlichkeit der Angeklagten näher erörtert hätte, wie weit diese Kenntnis der Angeklagten gerade im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Goerdeler ging. Dies ist aber nur ein Mangel an Ausführlichkeit, nicht ein Rechtsmangel des Urteils. Denn es war allgemein bekannt, dass die an dem Unternehmen des 20.Juli Beteiligten in unmenschlicher Weise vernichtet werden würden. Dass dies nach Auffassung des Schwurgerichts auch der Angeklagten bekannt war, ergibt sich aus der Feststellung ihrer Kenntnis von der schon erfolgten Aburteilung und Hinrichtung anderer Teilnehmer an dem Unternehmen und aus der ganz ungewöhnlich hohen Belohnung, die, wie ihr bekannt, auf die Ergreifung Goerdelers ausgesetzt war und durch die das Regime sein Interesse gerade an der Vernichtung dieses Hauptbeteiligten zu erkennen gegeben hatte.

 

Dass die Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat, bedurfte, wenn sie in dem dargelegten Sinne aus politischen Gründen und bewusst unmenschlich gehandelt hat, keiner weiteren Ausführung. Es geht über die Anforderungen, die an die Feststellung des Vorsatzes, d.h. des Wissens und Wollens aller Tatbestandsmerkmale zu stellen sind, hinaus, wenn das Urteil ausführt, sie habe "planvoll, folgerichtig und überlegt" gehandelt. Deshalb kann es auf sich beruhen, ob etwa diese Feststellung in Widerspruch steht mit den Feststellungen über ihre Persönlichkeit, die das Urteil auf Grund der Sachverständigengutachten im Zusammenhang der Strafzumessungsgründe trifft. Mit der Feststellung, dass der Angeklagten das Unrecht ihres Verhaltens deutlich bewusst gewesen sei, bringt das Urteil zum Ausdruck, dass sie auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit hatte.

 

Einer näheren Erörterung ob die Angeklagte im Sinne des Gesetzes Nr.10 auf Befehl gehandelt hat, bedurfte es nicht, da sie sich, wie das Urteil ausführt, darauf nicht berufen hat. Diese Ausführung bedeutet nicht, wie die Revision meint, einen Rechtsverstoss, weil das Gericht von Amts wegen verpflichtet sei, alle Schuldausschliessungs- und Rechtfertigungsgründe zu prüfen. Sie soll nur bedeuten, dass das Schwurgericht in Ermangelung einer dahingehenden Einlassung der Angeklagten keine Anhaltspunkte dafür gewonnen hat, dass sie unter dem Druck eines Befehls gestanden habe. Sie hat aus Rechthaberei und Geltungsbedürfnis gehandelt und nicht, um dem Befehl eines Vorgesetzten oder der Regierung nachzukommen. Im übrigen setzt nach der Auffassung des Senats ein Befehl im Sinne des Gesetzes ein Verhältnis zwischen einem Vorgesetzten und einem Untergebenen voraus und liegt nicht schon bei einer allgemeinen Aufforderung an alle Staatsbürger vor. Hiermit erledigt sich, wie an dieser Stelle schon gesagt werden darf, auch die Bemängelung der Revision, dass ein Handeln auf Befehl nicht im Rahmen der Strafzumessungsgründe als Milderungsgrund