Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.721

 

Während der Arbeit trieben manche SS-Männer von der sogenannten Grubenmannschaft die Gefangenen auch noch mit Stockschlägen an. Wenigstens ca. 20-30 Häftlinge wurden im Verlauf der Arbeiten durch Genickschuss getötet und ersetzt, weil sie wegen ihres ausgehungerten und entkräfteten Zustandes den Arbeitsanforderungen nicht mehr genügen konnten. Einmal erschoss man 10 oder 12 Gefangene zur Abschreckung, nachdem ein Häftling trotz aller Vorsichtsmassregeln einen Fluchtversuch gewagt hatte. Offiziell sollten die Häftlinge im Glauben gelassen werden, sie würden als Spezialisten auf lange Zeit gleichartig eingesetzt und danach zum Lohn für ihren Einsatz freigelassen werden. Inwieweit solche Zusagen, die die "Arbeitsmoral" heben und die Fluchtwilligkeit vermindern sollten, im Einzelfall gemacht wurden, liess sich nicht klären. Geglaubt worden wären sie ohnehin nur in den seltensten Fällen. Alles, was die Häftlinge sahen und erlebten, einschliesslich der auch damals ungewöhnlichen Fesselung, liess diesen illusionslos gewordenen Menschen keine Hoffnung, dass sie ihren Einsatz überleben würden. Dazuhin machte der eine oder andere angetrunkene SS-Mann Andeutungen, dass sie alle "kaputt" gemacht würden.

 

Es ist sicher, dass keiner der etwa 200 Häftlinge, die von dem "Arbeitserziehungslager" Syrezk nach Babij-Yar geschickt wurden, dort aus Gründen festgehalten worden ist, die - selbst nach damaligen Gepflogenheiten - seine Erschiessung gerechtfertigt hätte. Sie waren vielmehr, soweit es sich um nichtjüdische Insassen handelte, gerade deshalb "nur" in jenes Lager gesteckt worden, weil der gegen sie erhobene Vorwurf ihre Tötung nicht geboten erscheinen liess oder weil sie, soweit sie - im Zuge der Endlösung freilich todgeweihte - Juden waren, zunächst noch als Fachhandwerker gebraucht wurden. Ob und ggf. mit welchem Anteil unter den restlichen zu der Enterdung in Kiew herangezogenen Gefangenen Männer waren, die auf die Vollstreckung einer gegen sie evtl. verfügten Todesstrafe warteten, war nicht zu klären. Doch hatte in diesem begrenzten Kreis eventueller Todeskandidaten mit Sicherheit der überwiegende Teil auch nichts begangen, was nach rechtsstaatlichen Grundsätzen selbst unter den Bedingungen des Krieges den Ausspruch der Todesstrafe und die Erschiessung gerechtfertigt hätte. Die ganz überwiegende Mehrzahl der in Babij-Yar zu Enterdungsarbeiten verwendeten Gefangenen waren deshalb Leute, die sich nichts (Juden) oder jedenfalls - selbst im Sinne der nationalsozialistischen Betrachtungsweise - nichts Todeswürdiges zuschulden hatten kommen lassen. Das wusste der Angeklagte Soh. Er wusste auch, dass unter den Arbeitskräften sehr viele Juden waren, die allein ihrer Rasse wegen verfolgt wurden. Da sich Soh. von vornherein klar war, dass gegen die Häftlinge in aller Regel kein vom zuständigen KdS unterzeichneter Befehl zur "Sonderbehandlung" vorlag, ging er auch in keinem Fall dieser Frage nach. Für ihn und alle anderen SS-Leute des Sonderkommandos waren die Häftlinge unterschieds- und namenlose Geschöpfe, für deren Herkunft und Personenidentität sich niemand interessierte, die man auch zu keiner Zeit in irgendwelchen Listen führte.

 

Die unwiderlegt ohne Zie. und Kir. etwa in der zweiten September-Woche 1943 zur Verstärkung aus Dnjepropetrowsk herangeholten Ordnungspolizisten vom Sonderkommando 1005 B - es handelte sich um den grössten Teil von ihnen - erhielten in Babij-Yar ihre ersten Einblicke in das Wesen des Sondereinsatzes, zu dem sie für die kommende Zeit abgestellt waren. Zuvor waren sie noch nicht darüber unterrichtet worden, wozu sie eigentlich verwendet werden sollten.

 

Allerdings hatte Soh. schon in Dnjepropetrowsk bei einem seiner dortigen Besuche kurz vor dem Transport nach Kiew in Anwesenheit des Angeklagten Zie. eine allgemeine Verpflichtung der Polizeiangehörigen des Sonderkommandos 1005 B vorgenommen. Die ganze Einheit einschliesslich der SD- und SS-Leute musste dazu antreten. Soh. wies die Ordnungspolizisten in einer kurzen Ansprache unter Verlesung eines diesbezüglichen Schriftstückes sinngemäss darauf hin, dass sie von nun an für den Einsatz in einer reichswichtigen, höchst geheimen Angelegenheit seinem Befehl unterstünden. Die Sonderaufgabe sei äusserst bedeutungsvoll und dringlich. Daher seien die Kommandos unmittelbar dem Reichsführer SS