Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.032c KG 30.06.1948 JuNSV Bd.I S.721

 

Lfd.Nr.032c    KG    30.06.1948    JuNSV Bd.I S.721

 

1 Ss 59/48

 

Im Namen des Volkes

 

 

In der Strafsache gegen

 

die Buchhalterin Helene Schwärzel aus Berlin, seit dem 16.Januar 1946 in Untersuchungshaft, z.Zt. im Untersuchungsgefängnis in Berlin NW 40, Alt-Moabit 12a, geboren am 16.Januar 1902 in Königsberg/Pr.,

 

wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit

 

hat der Strafsenat des Kammergerichts in Berlin in der Sitzung vom 30.Juni 1948, für Recht erkannt:

 

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Berlin vom 1.November 1947 wird auf ihre Kosten verworfen.

Die seit dem Urteil weiter erlittene Untersuchungshaft wird auf die Strafe angerechnet.

 

 

GRÜNDE

 

Die Angeklagte verlebte einen Teil ihrer Jugend in Rauschen bei Königsberg. Dort wohnte damals auch der damalige Bürgermeister von Königsberg, spätere Oberbürgermeister von Leipzig, Dr. Goerdeler. Sie kannte ihn von Ansehen gut und sah ihn zuletzt etwa im Jahre 1923. Weil die Familie Goerdeler stets freundlich zu ihr gewesen war, bewahrte sie ihr ein gutes Andenken. Seit dem Jahre 1941 arbeitete die Angeklagte als Schreibkraft bei der Lohnstelle eines Fliegerhorstes in Conradswalde unweit Rauschen. Nachdem Anfang August 1944 in den Zeitungen ein Steckbrief gegen Goerdeler wegen Teilnahme an dem Anschlag auf Hitler erschienen war, sprach die Angeklagte mit ihrem Vorgesetzten, dem Oberzahlmeister Sch., darüber, ob man Goerdeler nach so langer Zeit wiedererkennen könne. Sch., der früher in Königsberg gearbeitet und Goerdeler letztmalig etwa 1922 gesehen hatte, bestritt diese Möglichkeit. Die Angeklagte blieb jedoch dabei, dass sie Goerdeler wiedererkennen würde. Am Morgen des 12.August 1944 meinte sie in einem Fremden, der in dem Speiseraum der Gastwirtschaft, in dem die Angestellten der Lohnstelle ihr Frühstück einnahmen, auf dem Sofa sass, Goerdeler wiederzuerkennen. Als sie sich nach längerer Beobachtung darin sicher zu sein glaubte, ging sie in das Büro, um sich dort Papier und Bleistift geben zu lassen und durch einen Zettel Sch. zu verständigen. Sie erklärte dort der Angestellten B., dass im Speiseraum ein Mann sitze, der Dr. Goerdeler sein müsse, und schrieb auf einen Zettel: "Auf dem Sofa sitzt Dr. Goerdeler." Die Angeklagte und die B. begaben sich sodann in den Speiseraum und die B. legte, während die Angeklagte wieder an ihrem Tisch Platz nahm, dem Sch. den Zettel vor. Sch. las ihn, drehte sich zu dem Fremden um, konnte aber keine Ähnlichkeit feststellen und schüttelte, zu der Angeklagten gewendet, den Kopf. Diese trat darauf an ihn heran und flüsterte: "Ich glaube bestimmt, er ist es." Sch. erwiderte leise: "Eine Ähnlichkeit ist." Als der Fremde bald darauf die Gaststube verlassen hatte, entspann sich unter den etwa 15 Angehörigen der Lohnstelle eine erregte Unterhaltung. Die Angeklagte erklärte, der Fremde sei bestimmt Dr. Goerdeler gewesen, und sie blieb bei ihrer Ansicht, obgleich alle anderen übereinstimmend erklärten, die Gesichtszüge des Fremden stimmten mit dem in den Zeitungen veröffentlichten Bild nicht überein. Schliesslich äusserte Sch., wenn die Angeklagte ihrer Sache so sicher sei, dann möge sie den Landjäger anrufen. Das aber lehnte die Angeklagte ab. Nachdem