Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.719

 

nicht in die eigentliche Zielsetzung ihres Auftrags eingewiesen gewesen sein. Nach aussen war der Sinn des Vorhabens noch nicht erkennbar.

 

Das änderte sich schlagartig, als man am 18.8.1943 mit den eigentlichen Grabarbeiten begann. Nunmehr wurde im Lager Syrezk beim Morgenappell ein Trupp von hundert Gefangenen zusammengestellt, darunter etwa 80-90 Juden. In Syrezk befanden sich damals insgesamt nur noch etwa 100 Juden, die man als Fachhandwerker dringend benötigte. Offiziell galt die Ukraine zu jener Zeit längst als "judenfrei". Der Häftlingstrupp wurde nach Babij-Yar geführt, ohne zu wissen, was man vorhatte, so dass sie - ohne allerdings einen konkreten Grund zu kennen - glaubten, sie würden zur Erschiessung geführt. An Ort und Stelle legte man jedem Häftling sofort eine ca. 75 cm lange, an beide Knöchel geschlossene Kette an. Später banden sich die Gefangenen die Kette am Gürtel fest, um weniger behindert zu sein. Sodann wurden den Geketteten Schaufeln ausgehändigt, mit denen sie sofort zu graben anfangen mussten. Nach ca. 5 Tagen suchte man erneut 100 oder etwas mehr Häftlinge aus dem Gefangenenbestand im Lager Syrezk aus und übergab sie abgezählt dem Sonderkommando 1005 A nach Babij-Yar zur Arbeit. Diesesmal erfasste man vollends die im Lager übriggebliebenen 10-20 Juden, war darüber hinaus aber gezwungen, auf russische Zivilgefangene zurückzugreifen, weil weitere jüdische Häftlinge im Augenblick fehlten. Auch diesen neuen Arbeitshäftlingen wurden sogleich Fussketten angelegt. Da sich die Front rasch näherte - die Detonationen schwerer Geschütze waren bereits zu hören - und da Blobel die riesigen Massengräber auf alle Fälle ohne Hinterlassung von Rückständen vollständig ausgeräumt wissen wollte, gab er sich mit den bis dahin eingesetzten etwa 200 Arbeitskräften aus dem Lager Syrezk nicht zufrieden. In aller Eile wurde der Bestand noch erhöht, so dass schliesslich in Babij-Yar 327 Häftlinge mit der Ausgrabung und Verbrennung von Leichen beschäftigt waren. Woher die restlichen Gefangenen geholt wurden, konnte nicht mit allerletzter Sicherheit geklärt werden. Sowohl der BdS Dr. Thomas als auch der Zeuge E., der als KdS das örtliche SD-Gefängnis unter sich hatte, wurden am 28.8.1943 aus Kiew wegversetzt. Die Nachfolge von Dr. Thomas als BdS übernahm kurz danach der SS-Standartenführer Böhme. Inwieweit sich dieser oder die ihm nachgeordnete KdS-Dienststelle in die Beschaffung von Gefangenen für die Enterdungen in Kiew einschaltete, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich wurde zumindest der überwiegende Teil dieser nachgeholten Arbeitskräfte aus dem Gefängnis der KdS-Dienststelle nach und nach in "Gaswagen" nach Babij-Yar gefahren und dort nach Anlegung der Fussketten bei der Arbeit eingesetzt. (Daneben fanden solche Gaswagen allerdings auch die ihrer eigentlichen Bestimmung entsprechende Verwendung. Während der laufenden Enterdungsarbeiten trafen regelmässig Menschentransporte mit Gaswagen an der "Baustelle" ein. An Ort und Stelle wurde das Motorenabgas etwa 10-15 Minuten in das Wageninnere geleitet. Nach Todeseintritt mussten die Kettenhäftlinge die Leichen dieser Opfer ausladen und sogleich auf den Scheiterhaufen mitverbrennen.)

 

Um die Arbeit in Kiew zu beschleunigen, verhandelte Soh. auf Geheiss Blobels mit der Organisation Todt erfolgreich über die Herbeischaffung eines grossen Schaufel-Baggers. Mit diesem konnte nicht nur die infolge der seinerzeitigen Sprengung zum Teil mehrere Meter hohe Sandschicht über den Leichen abgetragen, sondern auch das Herausheben und Aufschichten der Leichen selbst wesentlich rascher bewerkstelligt werden.

 

Um die etwa 60 Leichenstapel in Babij-Yar entzünden zu können, verwendete man Teeröl, das man mit einer an einen Kompressor angeschlossenen Apparatur wie im Strassenbau versprühte. Für das notwendige Brennöl sorgte Soh. Er regelte dieses nach seinen Worten "besonders schwierige Problem" (HV-Prot. S.197) mit einer Wirtschaftsdienststelle des Generalgouvernements in Krakau. Überhaupt legte Blobel die Materialbeschaffung für das "riesengrosse Vorhaben Kiew" (Soh.: HV-Prot. S.237) ganz in Soh. Hände, da dieser nach seiner Parteistellung und auch nach seinem SS-Dienstgrad geeignet war, sich notfalls auch auf höherer Ebene durchzusetzen. So musste sich Soh. z.B. auch darum kümmern, dass die