Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.032b KG 17.05.1947 JuNSV Bd.I S.715

 

Lfd.Nr.032b    KG    17.05.1947    JuNSV Bd.I S.719

 

waren allgemein bekannt. Wer sie kannte und einen anderen wegen einer gegen das Regime gerichteten oder dessen Anordnungen zuwiderlaufenden Handlung oder Äusserung den Behörden oder anderen Organen des Regimes in die Hände lieferte, bekannte sich damit zu dem Regime und seinen Methoden und handelte aus politischen Gründen. Die Annahme eines politischen Grundes setzt daher nicht voraus dass der Täter Parteigenosse war oder sich politisch betätigt hat, nicht einmal notwendig, dass er einen anderen gerade wegen seiner abweichenden politischen Gesinnung verfolgt hat. Es genügt vielmehr, dass der Täter den Verfolgten bewusst der willkürlichen und unmenschlichen Gewalt des Naziregimes überliefert hat. Es können unter den Begriff der Verfolgung aus politischen Gründen daher auch solche Handlungen, insbesondere Denunziationen fallen, die der Täter aus rein persönlichen Gründen, etwa aus persönlichem Rachegefühl oder auf Grund irgendeines Zerwürfnisses mit dem Verfolgten begeht. Es kommt also insoweit wie auch bei der Feststellung des unmenschlichen Handelns des Täters entscheidend auf dessen Willensrichtung und die Vorstellung an, die er sich von dem Erfolg seiner Handlung macht. Dabei ist zwischen dem Bewusstsein des unmenschlichen Handelns und dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit zu unterscheiden. Derjenige, der die unmenschlichen Methoden des Naziregimes, insbesondere die Methoden der Gestapo kennt und in dieser Kenntnis, den von ihm Verfolgten, diesen Methoden ausliefert, kann sich nicht darauf berufen, dass er sein Vorgehen für gesetzlich und die staatlichen oder Parteiorgane für verpflichtet zum Einschreiten gehalten habe Der Senat hat schon in seiner Entscheidung vom 24.August 1946 (1 Ss 45/46) 181 die Auffassung vertreten, niemand könne sich zur Begründung dafür, dass ihm das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit gefehlt habe, auf eine Einstellung berufen, die im Gegensatz zum allgemein anerkannten Sittengesetz steht. In diesem Zusammenhang ist zu beanstanden, dass das Urteil des Schwurgerichts nicht klar erkennen lässt, wie es den Einwand der Angeklagten, sie habe alles für gesetzlich gehalten und in einem übergesetzlichen Notstand gehandelt, rechtlich bewertet. Das Schwurgericht weist ihn unter Berufung auf Art.II 4b des Gesetzes zurück, wonach die Tatsache, dass jemand unter dem Befehl seiner Regierung oder seines Vorgesetzten gehandelt hat, ihn nicht von der Verantwortlichkeit für ein Verbrechen befreit. Die Angeklagte hat sich aber nach den Feststellungen des Schwurgerichts gar nicht darauf berufen, dass sie auf Befehl gehandelt habe. Andererseits wird durch Art.II 4b die Berufung auf Notstand nicht grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Das Urteil von Nürnberg S.64). Die Feststellungen des Schwurgerichts ergeben allerdings keine Tatsachen, aus denen ein solcher gefolgert werden könnte. Die Revision hat auch mit Recht bemängelt, dass der Tatbestand, der der Angeklagten zur Last gelegt wird, vom Schwurgericht nicht klar formuliert worden ist. Das Urteil lässt nicht klar erkennen, worin es die Mitwirkung der Angeklagten als Täterin bei der Verfolgung des Dr. Goerdeler erblickt hat, und ob etwa bei dieser Verfolgung das Verfahren gegen Goerdeler als ganzes oder nur seine Ergreifung gemeint ist. Es ist auch nicht geprüft worden, ob die Angeklagte etwa nicht als Täterin, sondern nur als Gehilfin angesehen werden könnte, weil sie die Tat nicht als ihre eigene gewollt hat und die Entscheidung, ob sie Schritte zur Ergreifung Goerdelers tun wollte, den Zahlmeistern überlassen hat.

 

Die Strafzumessungsgründe werden von der Revision dahin angegriffen, dass die Tatbestandsmerkmale des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, die die Grundlage des Schuldausspruchs bilden, nochmals bei der Strafzumessung als erschwerend herangezogen seien. Insoweit ist jedoch ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen. Der Senat nimmt nicht an, dass das Schwurgericht den von ihm festgestellten Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit bei der Strafzumessung noch wieder als erschwerenden Umstand gewertet hat, sondern dass es die Tat der Angeklagten als eine im Rahmen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit besonders schwere hat bezeichnen wollen. An die Strafzumessungsgründe müssen allerdings gerade in Fällen dieser Art besondere Anforderungen in Bezug auf die Abwägung aller Umstände, die nach dem äusseren Geschehensablauf und der Persönlichkeit des Angeklagten für oder gegen diesen sprechen, gestellt werden, weil der Strafrahmen des Gesetzes ausserordentlich weit ist. Im Rahmen der Strafzumessung hätte auch die Anrechnung der Untersuchungshaft, über die sich das Urteil des Schwurgerichts nicht auslässt, geprüft

 

181 Siehe Lfd.Nr.003b; 1 Ss 48/46 = 1 Ss 45/46.