Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.717

 

Den Eltern der Kinder wurde vorgetäuscht, dass die Kinder fachärztlich behandelt wurden. Zwanzig über das ganze Reichsgebiet verteilte Anstalten wurden ausgewählt, deren Leiter politisch vertrauenswürdig erschienen und von denen angenommen werden konnte, dass sie den Bestrebungen des "Reichsausschusses" positiv gegenüberstünden. Im Rahmen der Tätigkeit des "Reichsausschusses" sind dann in der Folgezeit mehrere tausend Kinder getötet worden.

 

Während die ersten Massnahmen für die Aktion "Reichsausschuss" getroffen wurden, fanden Vorbesprechungen in der Privatkanzlei Hitlers zum Zwecke der Erweiterung des "Euthanasieprogrammes" auf die Tötung von Geisteskranken statt. Nach Kriegsbeginn unterzeichnete Hitler eine auf den 1.September 1939 zurückdatierte "Ermächtigung", welche folgenden Wortlaut hatte:

"Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.

gez.: Adolf Hitler"

 

Diese Ermächtigung war nicht etwa als Gesetz oder gesetzesähnlicher Erlass aufzufassen, sondern lediglich als schriftliche Bekundung des Führerwillens. Sie war auch auf einem privaten Briefbogen Hitlers geschrieben worden. Sie erweckt, für sich allein betrachtet, den täuschenden Eindruck, als sei es darum gegangen, unheilbar kranke Menschen von ihrem Leiden zu erlösen. In Wirklichkeit war jedoch die Tendenz, wie ausgeführt, nicht auf den einzelnen Menschen zu gewährenden "Gnadentod" gerichtet, sondern auf die Vernichtung "lebensunwerten Lebens" im Interesse des Staates bzw. des "Volkes".

 

In Verfolg des weiteren "Euthanasieprogramms" wurde eine Organisation unter dem Decknamen "Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten" geschaffen. In Berlin wurde ein Büro eingerichtet, von wo aus die Tötungsaktionen zunächst geleitet wurden. Es wurde an eine Reihe meist sehr junger Ärzte herangetreten, die zur Mitwirkung gewonnen wurden. Das übrige Personal, das bis Ende des Jahres 1939 ausgewählt wurde, wurde notdienstverpflichtet oder zu den Anstalten, in denen die Tötung durchgeführt werden sollte, abkommandiert. Die Beteiligten wurden zu strenger Geheimhaltung verpflichtet. Das Personal in Schloss Hartheim hatte folgende Verpflichtungserklärung zu unterschreiben:

"1) Mir ist bekannt, dass ich über alle mir im Zusammenhang mit meiner dienstlichen Tätigkeit bekannt werdenden Angelegenheiten gegenüber jedermann und gegenüber jeder Stelle des Staates wie auch der Bewegung unbedingte Verschwiegenheit zu wahren habe und dass mich von dieser Verpflichtung niemand anderer entbinden kann, als der Reichsstatthalter und Gauleiter bzw. Leiter der Anstalt, Dr. Lonauer.

2) Ich weiss, dass mir diese auf das unbedingteste einzuhaltende Verpflichtung deshalb auferlegt wird, weil sich unter den zu meiner Kenntnis gelangenden Tatsachen Vorgänge befinden, welche "Geheime Reichssachen", also Staatsgeheimnisse sind.

3) Ich weiss, dass auf Verrat von Geheimen Reichssachen die Todesstrafe steht und dass auch versuchter oder nur fahrlässiger Verrat mit der Todesstrafe geahndet werden kann.

4) Ich weiss, dass alle Angelegenheiten, die mit der Transferierung der Patienten in andere Anstalten zusammenhängen, als Geheime Reichssachen anzusehen sind.

5) Ich weiss, dass diese Verpflichtung auch für die gesamte Zeit nach eventueller Beendigung meines Dienstverhältnisses gilt. Ich habe den Inhalt der vorstehenden Erklärung, nachdem er mir vorher mündlich erläutert worden ist, genau durchgelesen, und eigenhändig wie folgt unterschrieben."