Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.032b KG 17.05.1947 JuNSV Bd.I S.715

 

Lfd.Nr.032b    KG    17.05.1947    JuNSV Bd.I S.716

 

sei. Die Angeklagte verblieb dabei, sie hätte ihn genau erkannt; schliesslich hatten sich auch Sch. und ein anderer Oberzahlmeister überzeugt, dass sich die Angeklagte nicht geirrt haben konnte. Sie fuhren zu Rad Goerdeler nach und nahmen in fest.

 

Der Angeklagten ist als Belohnung dafür, dass sie die Ergreifung Goerdelers herbeigeführt hat, von Hitler persönlich ein Verrechnungsscheck über eine Million RM übergeben worden. Das Schwurgericht stellt jedoch fest, dass sie sich nicht durch die ausgesetzte Belohnung habe bestimmen lassen, und dass ihr Gewinnsucht oder gar Habgier gänzlich ferngelegen haben.

 

Auf Grund dieses Sachverhaltes, der durch ihr glaubwürdiges Geständnis für erwiesen erachtet worden ist, ist die Angeklagte vom Schwurgericht wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren verurteilt worden. Ihre Revision hatte Erfolg.

 

Anklage war erhoben und das Hauptverfahren war eröffnet worden wegen in Tateinheit mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit in mittelbarer Täterschaft begangenen Mordes. Des Mordes hat das Schwurgericht die Angeklagte nicht für schuldig erachtet. Es hat ohne Rechtsirrtum festgestellt, dass sie nicht beabsichtigt hat, einen anderen als für sie handelnd zur Tötung Goerdelers zu bestimmen. Die Staatsanwaltschaft hat auch die Anklage in dieser Richtung nicht weiter verfolgt und ihre Revision zurückgenommen. Es handelt sich daher um das Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Anklage und der Eröffnungsbeschluss hatten dieses darin gefunden, dass die Angeklagte den Dr. Goerdeler aus politischen Gründen verfolgt habe. Das Schwurgericht hat sie verurteilt, weil sie bewusst bei der Verfolgung des Dr. Goerdeler als Täterin mitgewirkt habe.

 

Das Gesetz Nr.10 des Kontrollrats, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe stellt, enthält Tatbestände, die nach dem bisherigen deutschen Strafrecht nicht mit Strafe bedroht waren. Es handelt sich nicht nur um eine Zusammenfassung schon früher bestehender strafrechtlicher Tatbestände oder nur darum, dass strafbare Handlungen, die schon früher unter Strafe gestellt waren, wegen der besonderen Art ihrer Begehung zum Gegenstand eines besonderen Tatbestandes gemacht sind, sondern es werden in dem Gesetz auch neue Tatbestände aufgestellt, insbesondere derjenige der Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen. Dieser Tatbestand ist allerdings sehr weit gefasst und wird von der Rechtsprechung von Fall zu Fall ausgefüllt werden müssen. Da die Verfolgung aus politischen Gründen nach dem Gesetz Nr.10 auch dann strafbar ist, wenn sie nicht unter ein deutsches Strafgesetz fällt und vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr.10 begangen ist, erhebt sich die Frage, ob diese Rückwirkung des Strafgesetzes mit dem allgemeinen, auch für das deutsche Strafrecht jetzt und gerade durch die Besatzungsmächte wieder hergestellten Grundsatz, in Widerspruch steht, dass eine Handlung nur mit Strafe belegt werden darf, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Das Schwurgericht hat sich mit dieser Frage nicht näher befasst. Es hat sich mit der Ausführung begnügt, dass es sich hier um ein Gesetz des Kontrollrats handelt und die Gesetze des Kontrollrats zu befolgen sind. Das ist allerdings selbstverständlich, und der Richter, der dieses Gesetz anzuwenden hat, könnte sich auf den Standpunkt stellen, die Frage seiner Anwendbarkeit sei damit erledigt. Nun ist aber gerade neuerdings die Ansicht vertreten worden, dass die rückwirkende Anwendung dieses Gesetzes mit dem Grundsatz der Nichtrückwirkung von Strafgesetzen in Widerspruch stehen würde, und ausgeführt worden, dass deutsche Richter bei Anwendung dieses Gesetzes in einen Gewissenskonflikt kommen und sich deshalb gedrungen fühlen könnten, die Anwendung abzulehnen (vgl. von Hodenberg, Süddeutsche Juristen Zeitung 1947 S.114 ff). Der Senat ist demgegenüber der Auffassung, dass der Grundsatz der Nichtrückwirkung von Strafgesetzen, der Grundsatz "nullum crimen sine lege", durch das Gesetz Nr.10 nicht verletzt wird. Das Gesetz knüpft an das Statut für den internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg an. Es unterscheidet sich, soweit es sich um die Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen handelt, von den Bestimmungen des Statuts dadurch, dass nach diesem Statut Voraussetzung