Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.712

 

dem übrigen ukrainischen Gebiet "arbeiten" sollte. Vorrang wurde der Aufstellung des für Kiew vorgesehenen Teilkommandos eingeräumt, das als "Sonderkommando 1005 A" bezeichnet wurde. Das andere Teilkommando hiess später "Sonderkommando 1005 B". Für beide Teilkommandos mussten Mannschaften und vor allem geeignete Führer gefunden werden. Ausserdem benötigte Blobel, der sich wegen seiner überregionalen Funktion örtlich nicht binden konnte, einen besonders fähigen Gesamtkommandoführer, der während seiner (Blobels) Abwesenheit alle Belange der Aktion 1005 im Südabschnitt zu wahren hatte und zum Vorgesetzten beider Teilkommandoführer bestimmt war.

 

Im gegenseitigen Einvernehmen zwischen dem BdS Dr. Thomas und Blobel wurde Soh. noch im Juli 1943 von der Sicherungsaufgabe beim Dnjepr-Kraftwerk Saporoshje abberufen und in Kiew von Dr. Thomas persönlich Blobel zum besonderen Einsatz unterstellt. Ihm übertrug man die Aufgabe als Gesamtkommandoführer, da er die von höchster Stelle geforderten Voraussetzungen im besonderen Masse erfüllte und erst kurze Zeit vorher zum SS-Sturmbannführer befördert worden war. Blobel umriss Soh. in Anwesenheit des Adjutanten Harder die bevorstehende Aufgabe und weihte ihn zunächst in groben Zügen in Einzelheiten des geplanten Vorhabens und die zu ergreifenden Massnahmen ein. Hierbei lag Blobel ein Schriftstück vor, dessen Inhalt die "Geheime Reichssache 1005" zum Gegenstand hatte. Blobel hob gegenüber Soh. besonders die vorrangige Bedeutung und höchste Geheimhaltungsstufe der Angelegenheit hervor. Dabei erfuhr der Angeklagte auch erstmals, dass die als Arbeitskräfte heranzuziehenden Häftlinge ausnahmslos getötet werden müssten. Es stand Soh. sogleich vor Augen, dass er in seiner Funktion auf diese Weise im gesamten Gebiet der Ukraine das Schicksal dieser ungezählten Arbeitshäftlinge tätig mitbestimmen und für ihren Tod mitverantwortlich werden würde.

 

Dennoch dachte Soh. nicht etwa daran, sich gegen die Übernahme der ihm zugedachten Funktion als Gesamtkommandoführer und Leiter der Aktion 1005 im Südabschnitt der Front zu sträuben. Die geplante Tötung solch "minderwertiger Elemente", wie es für ihn, den von der nationalsozialistischen Rassenidee durchdrungenen "alten Kämpfer", "fremdvölkische" Arbeitssklaven waren, bereitete ihm keine ernstlichen Skrupel. Er sah diese Massnahme im Interesse der absoluten Geheimhaltung der "Enterdungsaktion" ohne Rücksicht auf sein gegenteiliges Rechtsgefühl und sein juristisch geschultes Rechtsbewusstsein als notwendige Konsequenz an und bejahte sie im Vertrauen darauf, vom Staat vor strafrechtlichen Folgen geschützt zu werden, auch innerlich. Der Angeklagte erwies sich von Anbeginn an als der - wie es in seinem Beförderungsvorschlag zum SS-Sturmbannführer (Blatt 19 der DC-Unterlagen) heisst - erfahrene und allseitig einsatzfähige, dem Regime seit der Frühzeit der Bewegung treu ergebene SS-Führer, den man gesucht hatte. In dieser Haltung wurde er auch nicht dadurch schwankend, dass er die verlangte Spurenbeseitigung als Zugeständnis des schlechten Gewissens wegen begangenen, unermesslichen Unrechts begriff. Obwohl er klar erkannte, dass nun das vergangene Unrecht durch neues Unrecht, nämlich durch die im krassen Gegensatz zu allgemeingültigen Rechtsmassstäben stehenden Tötungen vertuscht werden sollte, wähnte er seine aktive Mitwirkung an der Aktion durch den Willen und die Macht des dahinterstehenden Staates gedeckt, da er der nationalsozialistischen Führung die Kompetenz zumass, im vermeintlichen Staatsinteresse auch Unrecht im Gesetzessinne begehen und von den Untergebenen verlangen zu dürfen. Für ihn war es geradezu selbstverständlich, dass er die als besonders verdienstvoll angesehene Aufgabe, die ihm aufgetragen wurde, bereitwillig übernahm und unter vollem Einsatz seiner Kräfte ausführte. Mochten ihn auch die für ihn schon damals vorstellbaren und später wirklich erlebten widerlichen äusseren Gegebenheiten abstossen, so zählte für den vom Glauben an die Führung und von (falschem) Pflichtbewusstsein durchdrungenen Angeklagten dieser Umstand doch gegenüber den Interessen und Befehlen des nationalsozialistischen Staates, an dessen Aufbau er selbst aktiv mitgewirkt hatte, überhaupt nicht. Infolge seiner bereits 2jährigen Verwendung im eroberten Ostgebiet war er, obwohl er grösstenteils in der Zivilverwaltung gewirkt hatte, im übrigen so weitgehend über die im Zuge der "Endlösung" begangenen Verbrechen aufgeklärt, dass er