Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.032a LG Berlin 01.11.1947 JuNSV Bd.I S.709

 

Lfd.Nr.032a    LG Berlin    01.11.1947    JuNSV Bd.I S.711

 

zurück, holte Mütze, Koppel und Fahrrad und begab sich gemeinsam mit Sch. auf die Suche. Nachdem beide etwa 600 m gefahren waren, hatten sie den Fremden eingeholt. Aus seinen Papieren stellten sie fest, dass der Gesuchte Dr. Goerdeler war. Sie nahmen ihn fest und brachten ihn zum Bürgermeister 179. Von dort wurde er kurze Zeit darauf von der Polizei abgeholt.

 

Über diese Vorgänge erstatteten die Oberzahlmeister Sch. und H. bald danach eine auch von der Angeklagten unterschriebene Meldung an die Fliegerhorstkommandantur. Gegen Mittag dieses Tages mussten die beiden Zahlmeister und die Angeklagte zur Vernehmung nach Elbing fahren. Hierbei veranlasste die Angeklagte eine Berichtigung der schriftlichen Meldung, weil darin die Umstände, die zur Festnahme Dr. Goerdelers geführt hatten, nach ihrer Ansicht fälschlich in der Weise dargestellt waren, als wenn die beiden Oberzahlmeister das Hauptverdienst an der Ergreifung Dr. Goerdelers hätten. Ende August 1944 wurde die Angeklagte im Führerhauptquartier Adolf Hitler vorgestellt. Von ihm erhielt sie als Belohnung für ihre Tat einen Scheck über eine Million Reichsmark. Diesen präsentierte sie bei der Dresdner Bank in Elbing. Ungefähr 800000.- RM liess sie in Wertpapieren und 50000.- RM auf ein Sparkonto anlegen. Der Stadt Königsberg und dem Roten Kreuz spendete sie je 50000.- RM. Weitere 50000.- RM stellte sie ihrem Schwager, dem Schlossermeister T., zur Verfügung. Für sich selbst hob sie nur 4000.- RM ab, die sie zum grossen Teil für Geschenkzwecke verwandte. Lediglich 2000.- RM zahlte sie auf ihr Postsparbuch ein, ohne sie indessen anzugreifen. Sie blieb auch in ihrer früheren Stellung. Als die Russen im Januar 1945 in Elbing einmarschierten, floh die Angeklagte nach Berlin, wo sie zurückgezogen lebte und sich durch Näharbeiten und als Aufwärterin ernährte.

 

Dr. Goerdeler war inzwischen von dem Volksgerichtshof wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und am 2.Februar 1945 hingerichtet worden.

 

Dieser Sachverhalt ist erwiesen durch die Einlassung der Angeklagten und die glaubhaften Aussagen der Zeugen Sch., H., S. und R.

 

Es ergibt nicht die Tatbestandsmerkmale des Mordes in mittelbarer Täterschaft, dessen die Angeklagte in Tateinheit mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt worden war. Vielmehr hat das Gericht in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft, die die Anklage wegen Mordes fallen gelassen hat, angenommen, dass die Angeklagte nicht beabsichtigt hatte, einen anderen als für sie handelnd zur Tötung Goerdelers zu bestimmen. Aus diesem Grunde bedurfte es eines Eingehens auf die Bestimmung des §211 StGB nicht mehr.

 

Der festgestellte Sachverhalt erfüllt aber die Tatbestandsmerkmale eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Sinne des Gesetzes Nr.10 des Kontrollrates vom 20.September 1945.

 

Dass die Anwendung dieser Bestimmung auf solche vor Inkrafttreten des Gesetzes liegende, bis dahin straflosen Tatbestände nicht dem Grundsatz des Verbots der Rückwirkung eines Strafgesetzes widerspricht, ist in den Gründen des Urteils des Revisionsgerichts 180 eingehend ausgeführt worden, so dass das Schwurgericht diese Frage nicht mehr zu prüfen brauchte.

 

Die Angeklagte hat den Oberbürgermeister Dr. Goerdeler in unmenschlicher Weise aus politischen Gründen verfolgt. Eine Verfolgung im Sinne des Kontrollratsgesetzes Nr.10 liegt nach der Rechtsprechung des Kammergerichts nicht nur dann vor, wenn der Verfolger sich an eine Behörde wendet, sie ist vielmehr auch in den Fällen gegeben, in denen der Täter an die Öffentlichkeit oder einen Dritten herantritt und sich dabei bewusst ist, dass durch sein Verhalten der Weg zu einem Verfahren oder zu irgendeinem Einschreiten gegen den Verfolgten eröffnet wird. Die Angeklagte wusste, dass mehrere Teilnehmer an dem Anschlag vom 20.Juli 1944 bereits verurteilt und hingerichtet waren. Sie hatte den Steckbrief gegen Dr. Goerdeler in den Zeitungen

 

179 Ein Verfahren betr. diesen Verfahrensgegenstand gegen die Oberzahlmeister Sch. und H. wurde eingestellt durch Beschluss des LG Lübeck vom 24.12.1951, 4a KLs 7/47; Siehe Lfd.Nr.306.

180 Urteil des KG vom 17.5.1947, 1 Ss 54/47, Lfd.Nr.032b