Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.710

 

Attentat auf Heydrich war. Die Möglichkeit, dass allen exekutierten Tschechen in einem geordneten Verfahren eine Beteiligung an diesem Attentat nachgewiesen worden wäre und sie deshalb zum Tode verurteilt worden wären, scheidet jedoch aus. Dagegen spricht entscheidend die grosse Zahl der exekutierten Personen, unter denen ausweislich der Eintragungen der Geburtsdaten im Totenbuch alle Altersgruppen von 15 bis 70 Jahre vertreten waren sowie der Umstand, dass so viele Frauen und Mädchen darunter waren. Auch der Umstand, dass im Totenbuch die Opfer als "standrechtlich erschossen" aufgeführt sind, lässt nicht etwa die Möglichkeit offen, dass diesen Personen in einem gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Verfahren ein todeswürdiges Verbrechen nachgewiesen worden wäre. Die grosse Anzahl und die Zusammensetzung der Opfer nach Altersstufen und Geschlecht spricht auch hier entscheidend dagegen. Hinzukommt, dass ein standgerichtliches Verfahren viel rascher abgewickelt worden wäre. Die Tötungen wären dann nicht erst fast 5 Monate nach dem Attentat auf Heydrich erfolgt. Hieraus ergibt sich zugleich, dass es sich nicht um eine rechtmässige Repressalie zur Verhinderung weiterer Attentate gehandelt haben kann, zumal die Tötungen auch heimlich im Konzentrationslager und nicht in der Nähe des "Tatortes" durchgeführt worden sind.

 

Die Verwendung der Worte "standrechtlich erschossen" im Totenbuch erklärt sich vielmehr anders: Das Attentat auf Heydrich hat in den Kreisen der nationalsozialistischen Führung besondere Wut ausgelöst. Die offizielle Vergeltungsmassnahme war die Vernichtung des tschechischen Dorfes Lidice. Wie bereits im allgemeinen Teil erwähnt, ist durch zahlreiche Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung erwiesen, dass nach dem Tode Heydrichs die Tschechen im Konzentrationslager Mauthausen besonders schlecht behandelt wurden. Unter diesen Umständen kann es sich nur um einen reinen Racheakt gehandelt haben, wenn die SS-Führung die hier erörterte Exekution mit dem Tod Heydrichs in Zusammenhang brachte. Andererseits benutzte aber die SS-Führung, wie bereits ausgeführt, gelegentlich aus rechtsstaatlichen Verhältnissen entlehnte Begriffe zur Bezeichnung der von ihr willkürlich angeordneten Tötungen. Dazu bot sich hier ein geeigneter Anlass, weil das Attentat auf Heydrich sogar unter den Häftlingen im Konzentrationslager Mauthausen bekannt geworden war, wie durch die übereinstimmenden Aussagen vieler Zeugen erwiesen ist. Die Verwendung der Worte "standrechtlich erschossen" im Totenbuch lassen demnach, gleichgültig ob sie aus der entsprechenden Exekutionsanordnung entnommen sind oder nicht, lediglich den Versuch erkennen, die Exekutionsanordnung mit dem Anschein des Rechts zu versehen, nämlich als gerechte Bestrafung für das Attentat auf Heydrich auszugeben.

 

Der Tatbeitrag des Angeklagten Schul. ist als Beihilfe zum Mord anzusehen (§§211, 49 StGB). Insoweit kann im wesentlichen auf die zu diesem Punkt oben zur Tötung der 128 Polen gemachten Ausführungen verwiesen werden. Es handelt sich auch hier um eine natürliche Handlungseinheit, somit um eine Beihilfe, obwohl die Häftlinge teils vergast und teils erschossen wurden. Dieser Umstand hat auf die Bewertung von Schul.s Tatbeitrag keinen Einfluss, da seine Tätigkeit in allen wesentlichen Punkten die gleiche war, gleichgültig welche Tötungsart jeweils gewählt worden war.

 

Schul. kannte und billigte alle Tatumstände. Insbesondere kannte er alle tatsächlichen Voraussetzungen, welches das Merkmal der Heimtücke begründen und wusste auch, dass die Tötung aus niedrigen Beweggründen erfolgte, gleichgültig, ob er selbst für sich diese Beweggründe auch als niedrig bewertet haben mag oder nicht. Schul. hatte auch das Bewusstsein, Unrecht zu tun und hat sich nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen der Unrechtmässigkeit der Exekutionen geirrt. Insoweit kann auf die früheren Ausführungen zur Exekution der 128 Polen Bezug genommen werden. Hierzu ist nur folgendes zu ergänzen: Selbst wenn in der Exekutionsanordnung, wie zu Gunsten Schul.s unterstellt werden mag, davon die Rede war, dass die Tschechen wegen ihrer Beteiligung an der Ermordung Heydrichs standrechtlich zu erschiessen seien, so hat dies den Angeklagten nicht darüber getäuscht, dass es sich in Wirklichkeit um einen blossen Racheakt, der unter