Justiz und NS-Verbrechen Bd.I

Verfahren Nr.001 - 034 (1945 - 1947)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

 

Lfd.Nr.032a LG Berlin 01.11.1947 JuNSV Bd.I S.709

 

Lfd.Nr.032a    LG Berlin    01.11.1947    JuNSV Bd.I S.709

 

11 Ks 48/46

 

Im Namen des Volkes

 

 

Strafsache gegen

 

die Buchhalterin Helene Schwärzel 178, geboren am 16.Januar 1902 in Königsberg, wohnhaft in Berlin, in dieser Sache seit dem 16.1.1946 in Untersuchungshaft, z.Zt. im Untersuchungsgefängnis Moabit,

 

wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit.

 

Das Schwurgericht bei dem Landgericht Berlin hat in der Sitzung vom 30.Oktober bis 1.November 1947 für Recht erkannt:

 

Die Angeklagte wird wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu sechs Jahren Zuchthaus und sechs Jahren Ehrverlust verurteilt.

Die Untersuchungshaft wird voll angerechnet.

Das Vermögen der Angeklagten wird eingezogen, soweit es sich um Bankguthaben bei der ehemaligen Dresdner Bank, um das Postsparkassenbuch und um die Forderung in Höhe von fünfzigtausend Reichsmark an ihren Schwager, den Schlossermeister T., sowie um die mit Mitteln der Auslobungssume erworbenen Wertpapiere handelt.

Die Kosten des Verfahrens fallen der Angeklagten zur Last.

 

 

GRÜNDE

 

Die Angeklagte ist die Tochter eines Rangiermeisters bei der Reichsbahn. In ihrem 14. Lebensjahr, im Jahre 1916, siedelte sie mit ihren Eltern und Geschwistern von ihrem Geburtsort Königsberg in Ostpreussen nach Rauschen unweit Königsberg über. Dort besuchte sie bis 1918 die Volksschule und war dann als Fahrkartenverkäuferin, Schneiderin und im Haushalt beschäftigt. Seit etwa 1921 war sie ausserhalb tätig, pflegte aber während ihres Urlaubs zu ihren Eltern nach Rauschen zurückzukehren. Dort wohnte auch der damals bei der Königsberger Stadtverwaltung als Bürgermeister beschäftigte spätere Oberbürgermeister von Leipzig, Dr. Karl Goerdeler, den die Angeklagte vom Ansehen gut kannte. Sie bewahrte ihm ebenso wie seiner Frau und seinen Kindern nach ihrer letzten Begegnung mit ihm, die etwa im Jahre 1923 stattfand, ein gutes Andenken, weil die Familie Goerdeler stets freundlich zu ihr gewesen war.

 

Seit dem Jahre 1941 arbeitete die Angeklagte, die weder Mitglied der früheren NSDAP noch einer ihrer Gliederungen gewesen, politisch auch völlig uninteressiert war, bei der Luftwaffe als Schreibkraft. Zur Zeit des Bombenanschlages auf Hitler am 20.Juli 1944, an dem beteiligt gewesen zu sein auch der Oberbürgermeister Dr. Goerdeler in Verdacht geriet, war die Angeklagte bei der Lohnstelle eines Fliegerhorstes tätig, die in Conradswalde Kreis Stuhm, unweit Rauschen, in einer Gastwirtschaft untergebracht war. Leiter der Lohnstelle war der Oberzahlmeister Sch. Bei ihm arbeitete ausser der Angeklagten die Angestellte B. In einem anderen Raum der Gastwirtschaft befand sich die Gebührnisstelle unter dem Oberzahlmeister H. Das gesamte Personal bestand aus ungefähr 20 Personen. Die Mahlzeiten wurden im Gastzimmer an mehreren Tischen eingenommen.

 

Hierbei, wie auch bei anderen Gelegenheiten, wurden die durch Presse und Rundfunk

 

178 Rechtskräftig durch Urteil des KG vom 30.Juni 1948, 1 Ss 59/48, Lfd.Nr.032c, mit der Massgabe, dass die seit dem 1.11.1947 erlittene Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet wird.