Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.704

 

der Befehl des Feldmarschalls von Reichenau vom 10.10.1941;

 

ein Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD an den Unterstaatssekretär Luther im Auswärtigen Amt vom 28.2.1942

 

sowie ein Schreiben des Reichsführers SS an den SS-Gruppenführer Müller vom 20.11.1942.

 

Soweit die Zeugen Blobel und Han. bei ihren früheren Vernehmungen - ohne Zutun des Schwurgerichts - vereidigt worden sind, hat das Schwurgericht ihre Aussagen in allen Teilen als uneidliche behandelt, weil die Vereidigung dieser Zeugen in der Hauptverhandlung wegen des Verdachts der Tatbeteiligung gemäss §60 Ziff.3 StPO unzulässig gewesen wäre. Im übrigen werden diese grundsätzlichen Feststellungen in wesentlichen Teilen auch durch das Ergebnis der Beweisaufnahme zu Einzelheiten, wie in den folgenden Abschnitten dargetan ist, zusätzlich gestützt.

 

II. Werdegang und persönliche Verhältnisse der Angeklagten

 

A) Zur Person und Laufbahn des Angeklagten Soh.

 

Soh. wurde als Sohn des Bürgermeisters Friedrich Soh. geboren. Er hat 2 Schwestern. Sein Vater, der bei Ausbruch des 1.Weltkrieges Bürgermeister in Völklingen gewesen war, meldete sich 1914 als Hauptmann der Landwehr freiwillig zum Kriegseinsatz. 1919 wurde er von den Franzosen wegen angeblich begangener Kriegsverbrechen festgenommen. Am 19.8.1919 nahm er sich im französischen Militärgefängnis in Saarbrücken das Leben. Der Angeklagte war damals 11 Jahre alt. Die Familie wurde in der Folgezeit kurzfristig aus dem Saargebiet ausgewiesen und zog zunächst nach Wiesbaden. Dieses Schicksal erweckte im Angeklagten starke nationalistische Gefühle und prägte seinen weiteren Werdegang entscheidend mit. Nach dem Real- und Oberrealschulbesuch in Wiesbaden, Bad Pyrmont und zuletzt in München, wo sich seine Mutter Ende 1922 mit den Kindern schliesslich niedergelassen hatte, legte Soh. im Frühjahr 1927 in München die Reifeprüfung ab. Er studierte anschliessend dort und in Greifswald Rechtswissenschaft und bestand nach insgesamt 8 Semestern im Frühjahr 1931 in München die I.Juristische Staatsprüfung. Sodann trat der Angeklagte den juristischen Vorbereitungsdienst beim Amtsgericht München an.

 

Schon etwa im Jahre 1920 war Soh. als Realschüler in Bad Pyrmont mit dem deutsch-nationalen Jugendbund in Berührung gekommen und kurz darauf, weil ihm dieser Kreis zu bürgerlich erschien, zum jung-nationalen Bund übergewechselt. Alsbald nach seinem Eintreffen in München trat er dort noch im Dezember 1922, gerade 15 Jahre alt, in die SA ein, die ihn, wie er angibt, magnetisch anzog. Um überhaupt aufgenommen zu werden und an der militärischen Ausbildung, welche die SA dort zu jener Zeit regelmässig abends bei der Reichswehr erhielt, teilnehmen zu dürfen, hatte sich der Angeklagte fälschlich als 17jährigen ausgegeben. Wegen seines Verhaltens als Zeitfreiwilliger bei der Reichswehr am 8./9.November 1923 - er will zusammen mit noch einigen Gesinnungsgenossen das Revier seiner Kompanie in den Verteidigungszustand versetzt haben, damit man einer drohenden Verhaftung ihres Hauptmanns, der sich geweigert hatte, gegen die SA auszurücken, notfalls mit Waffengewalt hätte begegnen können - wurde Soh. später der Blutorden verliehen. Der NSDAP schloss sich der Angeklagte am 1.7.1925 an; er wurde Träger des goldenen Parteiabzeichens. Von 1930 an trat er für die nationalsozialistische Bewegung zuerst als Gauredner und später ab Februar 1931 bis zur Machtübernahme 1933 als Reichsredner auf.

 

Durch diese Propagandatätigkeit für den Nationalsozialismus vereitelte sich der Angeklagte schon im Sommer 1931 seine weitere juristische Ausbildung. Er musste wegen Verächtlichmachung der republikanischen Staatsform, also wegen eines Vergehens gegen das Republikschutzgesetz mit 3 Wochen Gefängnis, die zur Bewährung ausgesetzt wurden,