Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.701a LG Stuttgart 13.03.1969 JuNSV Bd.XXXI S.697

 

Lfd.Nr.701a    LG Stuttgart    13.03.1969    JuNSV Bd.XXXI S.702

 

werden und dass an keiner Stelle mit den Leichnamen irgend etwas anderes geschehen kann", deutlich erkennen.

 

Die entscheidende Wende in der Motivation der Machthaber des Dritten Reiches trat, wie das äussere Geschehen zeigt, in den ersten Monaten des Jahres 1943 ein. Nach der Stalingrad-Katastrophe konnte die deutsche Führung nicht mehr daran vorbeisehen, dass - mindestens zeitweilig - ein grosser Teil des eroberten Ostgebietes wieder in die Hand des Gegners fallen würde. Dies musste sich bis zum Sommer 1943, als der Vormarsch der sowjetischen Truppen weiter anhielt, zur Sorge um den endgültigen Verlust der Ostgebiete und schliesslich zur blanken Angst vor dem Verlust des Krieges überhaupt und der sich daran knüpfenden Folgen steigern. Die beteiligten Nationalsozialisten sahen plötzlich die Gefahr auf sich zukommen, dass sie für die verübten Massentötungen zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Hinzukam, dass Moskau nach dem Fall Stalingrads der Weltöffentlichkeit im Februar 1943 die Entdeckung riesiger Massengräber bei Rostow bekanntgab. Dies wurde zum unmittelbaren Anlass für den Entschluss der Verantwortlichen, in dem noch unter deutscher Kontrolle stehenden Gebiet in möglichster Eile mit Vorrang vor allen sonstigen nicht direkt das Kampfgeschehen betreffenden Angelegenheiten die Massengräber aus den Tötungsaktionen der Einsatzgruppen und der stationären Dienststellen der Sicherheitspolizei und des SD spurenlos beseitigen zu lassen. Durch die Verbrennung der Leichen und Leichenreste dieser seit 1941 ermordeten Menschen sollten rasch die handgreiflichsten Beweismittel für Art und Ausmass der Morde vernichtet werden. Dies war der Beginn der eigentlichen Aktion 1005.

 

Die Gesamtleitung der Aktion im besetzten Ostgebiet wurde in die Hände des schon praktisch erfahrenen, von fanatischem Judenhass durchdrungenen und als brutal, rücksichtslos und grausam bekannt gewordenen SS-Standartenführers Paul Blobel gelegt. Er wurde beauftragt, für die Öffnung der Massengräber und restlose Beseitigung der Leichen zu sorgen. Zur Durchführung seiner Aufgabe hatte er entsprechend der Fronteinteilung in Süd-, Mittel- und Nordabschnitt 3 gebietsgebundene Sonderkommandos aufzustellen, welche jeweils die offizielle Bezeichnung "Sonderkommando 1005" erhielten. Gleichzeitig wurden die BdS- und KdS-Dienststellen vom RSHA durch streng geheime Weisungen ins Bild gesetzt. Zudem erhielt Blobel eine äusserst umfassende, auf Himmler zurückgehende Vollmacht, kraft derer ihn sämtliche in Betracht kommenden Stellen zu unterstützen hatten. Es war klargestellt, dass sein Auftrag absoluten Vorrang vor anderen Aufgaben genoss, was das Gewicht und die Dringlichkeit, die man der Angelegenheit beimass, kennzeichnet. Dies spiegelt sich auch darin, dass Blobel direkt dem RSHA - wahrscheinlich dem Leiter des Amtes IV im RSHA, SS-Gruppenführer Müller, eventuell sogar Himmler persönlich - verantwortlich, gegenüber allen sonstigen Zwischeninstanzen aber völlig unabhängig war. Er wurde bei seiner Aufgabe von einem Adjutanten, dem SS-Hauptsturmführer Arthur Harder 411, unterstützt. Aus Gründen der Geheimhaltung stellte Blobel die Kommandos in der Folge meist im persönlichen Einvernehmen mit den betreffenden Befehlshabern der Sicherheitspolizei und des SD zusammen. Dabei legte die Führung - jedenfalls anfänglich - besonderen Wert darauf, dass nur altbewährte, weltanschaulich zuverlässige und dem System verschworene SS-Männer als Kommando- und Teilkommandoführer herangezogen wurden. Das weitere Personal der Sonderkommandos setzte sich regelmässig aus mehreren SS-Männern im (vergleichsweisen) Rang von Unteroffizieren und Feldwebeln und einer grösseren Anzahl von Ordnungspolizisten - für Wachaufgaben - zusammen. Sämtlichen Kommandoangehörigen wurden aus naheliegenden Gründen verschiedene Vorteile (wie Sonderurlaub, oberste Verpflegungsstufe, zusätzliche Genussmittel und vor allem unbeschränkte Schnapsrationen sowie Zigaretten) gewährt. Die nahezu unerträgliche Arbeit an und in den Gräbern, nämlich die sogenannte

 

411 Siehe Lfd.Nr.552.