Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.700 LG Dortmund 16.01.1969 JuNSV Bd.XXXI S.675

 

Lfd.Nr.700    LG Dortmund    16.01.1969    JuNSV Bd.XXXI S.690

 

An diesem Ergebnis ändert auch die neue Fassung des §50 Abs.II StGB nichts. Zwar ist die Anwendung dieser gesetzlichen Bestimmung grundsätzlich geboten, da sie das mildere Gesetz gegenüber der früheren Regelung ist. Die aus ihr resultierende 15-jährige Verjährungsfrist kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, bei dem Gehilfen nicht vorliegen. Zweifelsfrei sind jedoch die Tatbestandsmerkmale der Heimtücke und Grausamkeit ausschliesslich tatbezogen. Auch das Tatbestandsmerkmal der niedrigen Beweggründe ist in erster Linie tatbezogen. Es sind somit keine persönlichen Tatbestandsmerkmale gegeben, welche die Strafbarkeit des Täters begründen und beim Gehilfen nicht vorliegen.

 

8.)

Auf den Angeklagten ist deutsches Strafrecht anzuwenden. Er war zur Tatzeit Deutscher, so dass deutsches Strafrecht gemäss §3 Abs.I StGB auch für die im Ausland begangene Straftat Anwendung findet. Darüber hinaus würde auch das deutsche Strafrecht gemäss §4 Abs.III Ziff.1 StGB Anwendung finden, weil der Angeklagte als Träger eines deutschen staatlichen Amtes während der Ausübung seines Dienstes gehandelt hat.

 

VIII. Die Strafzumessung

 

1.)

Ein Absehen von Bestrafung gemäss §47 Abs.II des früheren Militärstrafgesetzbuches war bei dem Angeklagten nicht möglich. Eine solche Massnahme könnte nur in Betracht gezogen werden, wenn das Verschulden des Angeklagten gering wäre und der zur Verfügung stehende Strafrahmen keine Möglichkeiten zu einer gerechten Bestrafung gäbe. Bereits die erste Voraussetzung trifft jedoch nicht zu, da es sich bei dem Angeklagten nicht um eine "Randfigur" des Geschehens handelt. Immerhin hatte der Angeklagte einen Offiziersdienstgrad, und er war allein verantwortlich für den ungestörten Ablauf der Gaswagentransporte und der Beerdigung der Opfer. Die lange Dauer der Aktion, die Zahl der Opfer und die Tatsache, dass es sich bei ihnen überwiegend um Frauen und Kinder gehandelt hat, lassen die Bejahung eines geringen Verschuldens im Sinne des §47 Abs.2 Militärstrafgesetzbuch nicht zu. Zudem besteht bei dem Angeklagten die Möglichkeit einer doppelten Strafmilderung, nämlich wegen Beihilfe gemäss §49 Abs.II StGB und wegen eines vermeidbaren Verbotsirrtums gemäss §44 Abs.I und II StGB. Die für Beihilfe zum Mord vorgesehene gesetzliche Mindeststrafe von drei Jahren Zuchthaus kann daher unterschritten werden. Der zur Verfügung stehende Strafrahmen lässt alle Möglichkeiten einer gerechten Bestrafung des Angeklagten zu (vgl. BGH, Urteil vom 10.Mai 1968 in 4 StR 572/67 406).

 

2.)

Bei der Strafzumessung war zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er keine völlig unbedeutende Person gewesen ist, die nur unwesentlich am Randgeschehen der Tat mitgewirkt hat. Der Angeklagte war als ranghöchster Offizier für die Geheimhaltung und Sicherung der Gaswagenfahrten und des Begräbnisses allein verantwortlich. Straferschwerend war auch die Tatsache zu berücksichtigen, dass das Tatgeschehen sich insgesamt über etwa drei Monate erstreckt hat und der Angeklagte fast täglich, zum Teil zweimal am Tag, eingesetzt war. Auch die Zahl der Opfer und die Tatsache, dass es sich vorwiegend um Frauen und Kinder gehandelt hat, mussten straferschwerend gewertet werden.

Andererseits war zu Gunsten des im übrigen untadeligen Angeklagten zu berücksichtigen, dass er keine "Zentralfigur" des Geschehens gewesen ist und zur eigentlichen Tötung selbst nichts beigetragen hat. Der Angeklagte hat weder die bei den jeweiligen Fahrten zu tötenden Opfer ausgesucht oder die Verladung veranlasst noch zu den technischen Voraussetzungen

 

406 Siehe Lfd.Nr.762.