Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.69

 

Behandlung von Juden und Zigeunern, bei denen kein Hinweis vorliegt, dass ihre Volksgruppen bei der Aktion in Sonnenburg eine Rolle gespielt hätten.

 

Auch die "Richtlinien" geben, ohne dass ihre Anwendung in Sonnenburg überhaupt gesichert ist, wie die übrigen Erwägungen keinen überzeugenden Hinweis darauf, dass ein Täter, der unter den damals gegebenen Umständen die Tötung von mindestens 600 Sonnenburger Häftlingen anordnete, in jedem Fall derart sittlich verwerflich gehandelt haben muss, dass ohne Kenntnis der Täterpersönlichkeit die Bewertung seiner Tatmotive als besonders niedrig im Sinne von §211 StGB angesehen werden müssen. In dem unveröffentlichten Urteil vom 16.4.1953 gegen Rad. (1 StR 709/52 18) hat der Bundesgerichtshof "sicherheitspolizeiliche Gründe" nicht als niedrigen Beweggrund im Sinne des §211 StGB bewertet. Ähnliche Gründe, die sich nach sittlichen Massstäben nicht wesentlich hiervon unterscheiden, können die Verantwortlichen für die Sonnenburger Untat bewegt haben. Erörterungen darüber, welche Vorstellungen anderer, möglicherweise höchst verachtenswerter Art den Täter zur Tat veranlasst haben können, waren dem Schwurgericht nicht möglich, weil es hierzu der Feststellung des Täters und auch einer Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit bedurft hätte.

 

Mangels sicherer Feststellungen zur Person des Haupttäters und seiner Motive zur Tat musste eine Bestrafung der Angeklagten als Gehilfen für einen Mord aus niedrigen Beweggründen entfallen.

 

6.5 Strafverfolgungsverjährung

 

Die Angeklagten konnten als Gehilfen zum Totschlag schon deshalb nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden, weil die Strafverfolgung hierfür inzwischen verjährt ist. Zur Tatzeit betrug die Verjährungsfrist 20 Jahre, weil auf Totschlag, dessen Strafrahmen für Beihilfe hier massgeblich ist, lebenslanges Zuchthaus verhängt werden konnte (§§47 MStGB, 49, 212, 67 StGB in der alten Fassung). Im Zusammenhang mit der generellen Abschaffung der Todesstrafe wurde durch das 3.Strafrechtsänderungsgesetz vom 4.August 1953 die Strafdrohung für Totschlag auf eine Höchststrafe von 15 Jahren herabgesetzt. Dadurch verkürzte sich die Verjährungsfrist auf 15 Jahre, denn derartige Änderungen wirken auch auf Taten zurück, die vorher begangen worden sind (BVerfG NJW 1969/1059). Zwar ist vor der Aburteilung die Verjährungsfrist des §67 Absatz 1 Ziffer 2 StGB durch das Neunte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4.August 1969 auf 20 Jahre bemessen worden, jedoch nur für Taten, die am 6.August 1969 noch nicht verjährt gewesen sind. Das aber ist der Fall. Die Frist begann am 8.Mai 1945 (§3 der VO zur Beseitigung nationalsozialistischer Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23.5.1947) und lief am 7.Mai 1960 ab, ohne dass inzwischen durch Gesetz diese Frist verlängert oder die Berechnung der Frist verändert wurde. Die erste zur Unterbrechung geeignete Handlung war die richterliche Vernehmung des Zeugen Bla. vom 3.März 1965 (Band V Bl.227 d.A.).

 

Die bei den Akten befindlichen richterlichen Vernehmungen vom 23.9.1950 durch das Amtsgericht Görlitz (Band VI Bl.100) und vom 22.3.1951 durch das Amtsgericht Genthin (Band VI Bl.103) waren nicht geeignet, die Strafverfolgungsverjährung zu unterbrechen. Zur Unterbrechung geeignet ist nur eine rechtzeitige richterliche Handlung, wenn sie gegen einen bestimmten Täter gerichtet ist (§68 StGB). Sie muss dazu dienen, das den Täter betreffende Strafverfahren einzuleiten oder fortzusetzen (vgl. Schönke-Schröder, StGB, Anm.9 zu §68). Als Ausnahme von der Regel des §67 StGB ist die Vorschrift des §68 StGB eng auszulegen (BGHSt. 16/196). Solange Anklage noch nicht erhoben ist, kommen nur richterliche Handlungen in Betracht, die aufgrund eines Antrages der Staatsanwaltschaft oder wegen Gefahr im

 

18 Siehe Lfd.Nr.673c.