Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.689

 

Der 1914 geborene Zeuge Kurt Tho. ist gebürtiger Tscheche und hiess vormals Knut 417 Tic. Er hat sich seit 1946 darum bemüht, seine Erfahrungen aus Sobibor in Ermittlungs- und Strafverfahren mit einzubringen.

 

In der jetzigen Beweisaufnahme hat er ausgesagt, er sei mit seiner Familie im Frühjahr 1942 zunächst nach Theresienstadt und sodann nach Trawniki gekommen. Er sei mit einem grossen Transport am 06.November 1942 ins Lager Sobibor gekommen. Zu diesem Zeitpunkt sei ihm nicht bekannt gewesen, welche Funktion dieses Lager gehabt habe. Mit ihm zusammen seien etwa 50 jüdische Menschen ausgesucht worden. Er sei damals schon 28 Jahre alt gewesen und im Vergleich zu den meisten sonstigen Arbeitsjuden relativ alt. Nur sehr wenige Juden seien noch älter gewesen. Er selbst habe, wie auch andere, aus dem Lager heraus Karten schreiben müssen. Er habe einer Freundin in der Schweiz geschrieben und sogar eine Antwort bekommen, das sei aber nur ihm passiert. Die anderen, für die Antwortkarten gekommen seien, seien längst ermordet gewesen, als diese gekommen seien.

 

Er habe zunächst in der Sortiererei, dann später in einer Baracke gearbeitet, die nahe dem Pferdestall gewesen sei, und in der Dinge sortiert worden seien, wie Kämme, Bürsten usw., später sei er dann als Sanitäter eingesetzt worden. Zu seiner Berufung als Sanitäter sei es wie folgt gekommen: In Sobibor habe es ab Dezember 1942 eine Epidemie unter den Arbeitsjuden gegeben, dabei habe es sich wahrscheinlich um "Flecktyphus" gehandelt. Er selbst sei auch daran erkrankt gewesen, habe die Krankheit aber überwunden. Im Frühling 1943 sei er dann von Ärzten im Lager darauf angesprochen worden, sich doch als Sanitäter zu melden. Vor allem Dr. Schulim Bresler habe ihm den Ratschlag gegeben. Es habe auch noch zwei weitere jüdische Ärzte, Dr. Subise und Dr. Ninc 418, beides Holländer, im Lager gegeben. Er habe die Vorstellung, als seien die beiden entweder kurz davor oder bald darauf, nämlich Ende März oder Anfang April 1943, aus einem Transport aus Holland herausgenommen worden. Nach ihrem Eintreffen sei Dr. Bresler praktisch nur noch als Zahnarzt eingesetzt gewesen. Er wisse nicht mehr genau, wie das mit den holländischen Ärzten gewesen sei, auch nicht, welche Aufgaben die ganz genau gehabt hätten, und welche Schicksale sie schliesslich erlitten hätten.

 

Dr. Bresler sei schon aufgrund seiner Erscheinung etwas besonderes im Lager gewesen. Er sei mittelgross, von schlanker, leicht vorgebeugter Haltung gewesen. Er habe noch recht volles, angegrautes Haar gehabt, sei etwa Mitte 40 / Anfang 50 Jahre alt gewesen. Der Ratschlag von Dr. Bresler habe sich als richtig erwiesen, denn wenig später habe Frenzel bei einem Appell nach einem Sanitäter gefragt, und ihn, seiner Meldung entsprechend, dann zu dieser Aufgabe eingeteilt. Seinerzeit sei die Praxis geändert gewesen, Kranke mehr oder weniger immer sofort zu töten, wenn sie als arbeitsunfähig auffielen; es habe etwa von da ab die Möglichkeit gegeben, sie bis zu drei Tage lang zu pflegen, ihre Erkrankung einigermassen auszukurieren. Er, der Zeuge, sei dabei allerdings weitgehend auf sich gestellt gewesen, Dr. Bresler habe ihm nur gewisse Ratschläge erteilen können. Er könne sich auch an den Sohn des Dr. Bresler erinnern, der habe wohl Josef geheissen. Auch über dessen Schicksal könne er sich nicht mit Sicherheit äussern, vielleicht habe Dr. Bresler seinen Sohn verloren.

Der Angeklagte hat erklärt, er könne sich schon aus dem ersten Hauptverfahren an den Zeugen als den früheren Sanitäter erinnern; er habe ihn wohl auch zum Sanitäter bestellt, ob er darüber vorher mit Dr. Bresler gesprochen habe, wisse er nicht, es sei aber möglich.

 

Er, der Zeuge, wisse nicht, welches der Grund dafür gewesen sei, dass Kranke hätten bis zu drei Tage gepflegt werden können; im übrigen sei es zwar eine Regel gewesen, gleichwohl

 

417 Im Urteil auch Kurt Tic. genannt.

418 Richtig: Dr. Soubice und Dr. Nink.