Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.700 LG Dortmund 16.01.1969 JuNSV Bd.XXXI S.675

 

Lfd.Nr.700    LG Dortmund    16.01.1969    JuNSV Bd.XXXI S.689

 

seinem als strafbar erkannten und gewollten Tatbeitrag loszukommen (vgl. BGHSt. Bd.3 S.271, Bd.18, S.311).

 

6.)

Die Verantwortlichkeit des Angeklagten für sein Handeln wird auch nicht deshalb beseitigt, weil er auf Befehl eines Vorgesetzten gehandelt hat. Zwar findet auch auf den Angeklagten als SS-Offizier wegen des "besonderen Einsatzes", in dem er sich in Belgrad befand, die Bestimmung des §47 Abs.I des früheren Militärstrafgesetzbuches Anwendung (BGHSt. Bd.5, S.239), die gerade wegen der Eigenart des Befehlsverhältnisses einen befehlsgemäss handelnden Untergebenen weitgehend von der Verantwortlichkeit für sein Tun befreit. Dieser Schuldausschliessungsgrund liegt bei dem Angeklagten jedoch deshalb nicht vor, weil er erkannt hatte, dass er mit seiner Handlung eine Tat unterstützte, die er als grausam und als etwas Unrechtes empfand. Damit war ihm bewusst, dass der Befehl seines Vorgesetzten ein Verbrechen bezweckte (vgl. BGH in Lindenmaier-Möhring, Anm.2 und 3 zu §47, StGB).

 

Auch soweit der Angeklagte geglaubt hat, der Befehl sei dennoch für ihn verbindlich und er müsse ihm gehorchen, steht ihm kein Schuldausschliessungsgrund zur Seite. Dieser Verbotsirrtum kann die Schuld deshalb nicht beseitigen, weil ihn der Angeklagte bei gehöriger Anspannung seines Gewissens hätte vermeiden können. Das Schwurgericht hat zwar nicht verkannt, dass die damalige Staatsführung es gerade darauf abgesehen hatte, ihre Untergebenen zu einem bedingungslosen Gehorsam gegenüber den von höchster Stelle ausgehenden Befehlen zu erziehen, und dass sich deshalb besonders bei den unteren Organen der staatlichen Einrichtungen eine ausgeprägte und weitgehend kritiklose Autoritätsgläubigkeit breit gemacht hatte. Ebenso hätte es für den Angeklagten wenig Sinn gehabt, wenn er sich zur Frage der Verbindlichkeit des Befehls bei anderen, namentlich bei seinen Vorgesetzten, erkundigt hätte. Der Angeklagte sah deutlich, dass alle mit der Vernichtungsaktion befassten Personen die erkennbar von höchster staatlicher Stelle getroffene Anordnung ohne Zögern ausführten. Dennoch hat das Schwurgericht die Vermeidbarkeit des beim Angeklagten vorhandenen Irrtums bejaht, weil es sich bei dieser Tötungsaktion um ein eklatantes und zum Himmel schreiendes Unrecht handelte. Das hätte der Angeklagte bei seinem Bildungsstand und in seiner damaligen Position sich bei der Befragung seines Gewissens sagen müssen. Er hätte erkennen müssen, dass er zur Mitwirkung an einem solchen Vorhaben trotz gegebener Befehle nicht verpflichtet war (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2.August 1968 in 4 StR 623/67 405).

 

Der Angeklagte hat sich daher eines Verbrechens der Beihilfe zum Mord gemäss §§211, 49 StGB schuldig gemacht.

 

7.)

Die Verfolgung der von dem Angeklagten begangenen Straftat ist nicht verjährt, obwohl seit der Tat schon über 26 Jahre vergangen sind. Die Beihilfe zum Mord konnte schon nach dem zur Tatzeit geltenden Recht gemäss §§211, 49 StGB, 4 der Verordnung gegen Gewaltverbrechen vom 5.12.1939 (RGBl. I, S.2378) mit dem Tode bestraft werden. Die Verjährungsfrist beträgt sonach 20 Jahre (§67 Abs.I StGB). Die Verjährung hat gemäss §69 StGB bis zum Kriegsende am 8.Mai 1945 geruht. Bereits am 25.11.1964 ist eine Unterbrechung der Verjährung durch richterliche Handlung eingetreten. Die an diesem Tage getroffene richterliche Verfügung bezweckte zweifelsfrei die Aufklärung der Tatbeteiligung des Angeklagten an der Tat, die den Gegenstand dieses Verfahrens bildet.

 

 

405 Siehe Lfd.Nr.643.