Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.700 LG Dortmund 16.01.1969 JuNSV Bd.XXXI S.675

 

Lfd.Nr.700    LG Dortmund    16.01.1969    JuNSV Bd.XXXI S.688

 

nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht nachweisbar. Dem Angeklagten konnte nicht widerlegt werden, dass er insoweit ausschliesslich gehandelt hat, um Fragen abzustellen oder den Opfern die Todesangst zu nehmen. Nicht nachweisbar war es, dass er in der Erkenntnis gehandelt hat, die von ihm vorgenommene Täuschung werde objektiv auch die Haupttat dadurch fördern, dass die Ruhe und Ordnung im Lager gewahrt wurde und bei den Opfern eine grössere Bereitschaft zum Besteigen des Gaswagens vorlag. Die bestehenden Zweifel daran, dass er diesen Erfolg wollte oder zumindest billigend in Kauf nahm, mussten zu Gunsten des Angeklagten gewertet werden.

 

Soweit der Angeklagte jedoch durch die Begleitung des Gaswagens, die Absicherung seiner Fahrten und des Begräbnisplatzes die Haupttat gefördert hat, ist das Schwurgericht aber zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte hiermit eine wissentliche Hilfeleistung vorgenommen, also vorsätzlich gehandelt hat: Der Angeklagte kannte alle Tatumstände des gesamten Tötungsvorganges und seinen eigenen Tatbeitrag. Diesen wollte er auch verwirklichen. Er wusste, dass die jüdischen Lagerinsassen ermordet wurden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Schwurgericht zu der sicheren Überzeugung gelangt, dass er die durch seinen Tatbeitrag erfolgte Förderung der Haupttat auch erkannt und gewollt hat. Es konnte dabei ohne Berücksichtigung bleiben, dass der Angeklagte möglicherweise kein eigenes Interesse an der Haupttat hatte, evtl. sogar das Unternehmen innerlich missbilligte (RGSt. Bd.32, S.355, Bd.56, S.170).

 

4.)

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hatte der Angeklagte auch das Unrechtsbewusstsein hinsichtlich seines Tätigwerdens. Er hat erkannt, mit dem ihm befohlenen und geleisteten Tatbeitrag, nämlich Absicherung der Gaswagenfahrten und der Begräbnisstätte, selbst Unrecht zu tun.

 

5.)

Dem Angeklagten konnten keine Rechtfertigungs- oder Schuldausschliessungsgründe zugebilligt werden:

 

Obwohl der Angeklagte auf Befehl gehandelt und sich bei seiner Tatausführung auch nur innerhalb des ihm erteilten Befehls gehalten hat, ist dadurch weder die Rechtswidrigkeit seines Tätigwerdens, noch die Schuld in Frage gestellt. Zwar ging der Befehl auf die Anordnung der obersten Staatsführung zurück. Dennoch bleiben Tat und Tatbeteiligung des Angeklagten rechtswidrig, weil die auf die Vernichtung jüdischer Menschen und damit die Verwirklichung eines eindeutigen Unrechts abzielende Anordnung eine sogenannte "despotische Norm" darstellt, welcher rechtsstaatliche Anerkennung auf gar keinen Fall zukommen kann.

 

Der Angeklagte hat sich auch nicht in einem "Befehlsnotstand" befunden. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob er im Falle einer Befehlsverweigerung eine Bestrafung zu befürchten gehabt haben würde. Der Angeklagte hat sich selbst nicht dahin eingelassen, dass er aus Furcht vor einer Bestrafung den Befehl befolgt und gehandelt habe, sondern deshalb, weil er sein Tun nicht für strafbar gehalten und geglaubt habe, dem Befehl Folge leisten zu müssen. Ein wirklicher oder auch nur vermeintlicher Nötigungsstand oder Notstand kann bei dieser Sachlage nicht in Betracht kommen. Der Angeklagte hat aus einem falsch verstandenen Gehorsam heraus gehandelt, ohne dass sein Wille durch eine im Falle der Befehlsverweigerung mögliche Bestrafung beeinflusst worden wäre oder sein Wille gar gebeugt hätte werden müssen. Auch das von dem Angeklagten nach seiner unwiderlegten Einlassung mit einer anderen Begründung, in Wirklichkeit aber wegen seines Tätigwerdens im Rahmen des Tötungsgeschehens eingereichte Versetzungsgesuch beseitigt seine Schuld nicht. Es kann nicht als geeignete und ausreichende Massnahme des Angeklagten angesehen werden, von