Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.700 LG Dortmund 16.01.1969 JuNSV Bd.XXXI S.675

 

Lfd.Nr.700    LG Dortmund    16.01.1969    JuNSV Bd.XXXI S.687

 

die Vorspiegelung, sie würden in ein anderes Lager verlegt, getäuscht und dadurch bewogen, den Gaswagen, in dem sie wehrlos dem Tode ausgeliefert waren, arglos zu besteigen. In diesem Verhalten liegt die Ausnutzung eines Zustandes der Sorglosigkeit, in den die Opfer versetzt worden waren. Die Tötung ist somit auch heimtückisch gemäss §211 StGB begangen worden. Schliesslich sind den Opfern durch die Art der Tötung aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung besondere körperliche Leiden und seelische Qualen zugefügt worden. Sie wurden den übelriechenden, Erbrechen, Erstickungsanfälle und Kopfschmerzen verursachenden Motorabgasen ausgesetzt und mussten, den eigenen Tod unentrinnbar vor Augen, dem Sterben ihrer Leidensgenossen, unter denen sich in vielen Fällen die eigenen Kinder und Angehörigen befanden, für einen gewissen Zeitraum hilflos zusehen. Eine derartige Zufügung von Qualen muss als grausame Tötung im Sinne des §211 StGB angesehen werden.

 

Wenngleich bei den etwa drei Monate lang täglich ein- bis zweimal durchgeführten Einsätzen des Gaswagens eine Vielzahl von Menschen nach und nach getötet worden ist, stellt der Ablauf der planmässig vorbereiteten und durchgeführten Vergasungsaktion wegen des zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges bei natürlicher Betrachtungsweise eine einheitliche Tat im Rechtssinne dar, zumal auch der Wille der Täter von Anfang an darauf gerichtet war, nach und nach alle jüdischen Insassen des Lagers Semlin zu töten.

 

2.)

Die Absicherung der täglichen Gaswagenfahrten und der Bestattung der jeweils getöteten Opfer durch den Angeklagten ist als Förderung der Haupttat anzusehen. Angesichts der damaligen unsicheren Lage in Serbien und der dadurch hervorgerufenen verstärkten Überwachung des Landes durch die deutsche Wehrmacht und andere Ordnungskräfte war es zwingend notwendig, dass der Gaswagen und der Beerdigungsvorgang gegen eine befürchtete Kontrolle oder andere mögliche Zwischenfälle abgeschirmt wurde. Dies gehörte zur Durchführung des Gesamtplanes als "Geheime Reichssache". Sein Erfolg war von den Absicherungs- und Abschirmmassnahmen letztlich abhängig. Schon eine oberflächliche Überprüfung des an sich recht auffälligen Gaswagens durch Uneingeweihte hätte nämlich das auch nach der damaligen Rechtsauffassung ungeheuerliche Verbrechen leicht allgemein bekannt werden lassen und unabsehbare Folgen gehabt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit würde der alsbaldige Abbruch der Vergasungsaktion notwendig gewesen sein. Der Angeklagte hat daher durch seine Tätigkeit den von den Haupttätern befohlenen Mord unterstützt. Anhaltspunkte dafür, dass er die Tat als eigene gewollt hat, liegen nicht vor. Er ist demgemäss als Gehilfe gemäss §49 StGB anzusehen. Es ist bei dieser Beurteilung unerheblich, dass der Tatbeitrag des Angeklagten nicht als die Hauptursache für den strafrechtlichen Erfolg der Haupttäter anzusehen ist. Vielmehr genügt es, dass er diesen Erfolg nur erleichtert hat (RGSt. Bd.73, S.54). Weiterhin ist es unerheblich, dass die Opfer möglicherweise in der Mehrzahl der Fälle schon tot gewesen sind, als der Angeklagte seinen Tatbeitrag leistete, indem er den Gaswagen begleitete und abschirmte. Da das gesamte Tatgeschehen als fortgesetzte, lebenseinheitliche Handlung angesehen werden muss, hat die Absicherung auch nur eines Gaswagentransportes mit bereits getöteten Personen ebenso die Gesamttat gefördert, wie die Absicherung des Begräbnisplatzes zur Zeit der Beerdigung der Leichen. Die Durchführung der gesamten Tat und die Ermordung weiterer Insassen des Lagers Semlin war nämlich nur denkbar und möglich, wenn jeder Transport und jede Beerdigung der bereits getöteten jüdischen Lagerinsassen reibungslos und unter Geheimhaltung vonstatten ging.

 

3.)

Der Angeklagte hat seinen, die gesamte Tötungsaktion fordernden Tatbeitrag auch vorsätzlich geleistet.

 

Soweit er durch die Übergabe einer fingierten Lagerordnung die Täuschung der Lagerinsassen vertieft und dadurch objektiv die Aktion gefördert hat, ist zwar ein vorsätzliches Handeln