Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.700 LG Dortmund 16.01.1969 JuNSV Bd.XXXI S.675

 

Lfd.Nr.700    LG Dortmund    16.01.1969    JuNSV Bd.XXXI S.684

 

Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass die Tötung auf der Strecke vom Lager bis zur Save-Brücke erfolgt ist. Gegen eine solche Annahme spricht die Tatsache, dass diese Fahrtstrecke erheblich kürzer war, als diejenige von der Save-Brücke bis zum Begräbnisplatz. Dagegen spricht ferner, dass sich der Gaswagen bis zur Save-Brücke auf kroatischem Gebiet befand und gerade an der Brücke ständig mit Kontrollen gerechnet werden musste. Im Falle einer Kontrolle mit Öffnung des Wagens wäre nach einer vollzogenen Tötung für alle zweifelsfrei erkennbar geworden, was es mit dem Wagen für eine Bewandtnis hatte. Gerade das sollte aber nach der gesamten Handhabung der Vorgänge bei der als "Geheime Reichssache" durchgeführten Aktion auf jeden Fall verhindert werden. In diesem Zusammenhang ist auch beachtlich, dass die Vortäuschung einer Umsiedlung bis nach dem Passieren der Brücke aufrechterhalten wurde, indem der Lastkraftwagen mit den Gepäckstücken bis dorthin hinter dem Gaswagen her fuhr. Im Falle einer Kontrolle an der Brücke hätte man die Fahrt immer noch als normale Umsiedlung erklären können.

 

Mit grösster Wahrscheinlichkeit ist die Tötung auf der Fahrtstrecke von der Save-Brücke bis zum Schiessplatz Avelar vorgenommen worden. Auf dieser Strecke fuhr der Gaswagen ausschliesslich auf serbischem Gebiet. Kontrollen waren jetzt nicht mehr zu befürchten. Die Täuschung über eine Umsiedlungsaktion wurde demgemäss auch nicht mehr aufrechterhalten, nachdem der Gepäck-Lastkraftwagen abgebogen war. Für die Tatsache einer Tötung auf der Fahrt von der Brücke zum Schiessplatz Avelar spricht schliesslich die Bekundung des Zeugen Eng., der beobachtet hat, dass die Fahrer Götz und Meier sich anlässlich eines Anhaltens nach Passieren der Brücke am Wagen zu schaffen gemacht haben. Trotz dieses hohen Wahrscheinlichkeitsgrades hinsichtlich des Zeitpunktes der Tötung nach Passieren der Brücke hat das Gericht insoweit keine absolut sicheren Feststellungen zu treffen vermocht. Es kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass der Tötungsvorgang bereits nach Verlassen des Lagers Semlin begonnen hat und die im Wagen befindlichen Personen nach und nach verstorben sind. Der Tod kann bei den Opfern zu unterschiedlichen Zeiten auf der gesamten Fahrtstrecke eingetreten sein.

 

3.)

Die Einlassung des Angeklagten über die Gründe, die ihn zur Aushändigung einer fingierten Lagerordnung an die jüdischen Insassen des Lagers Semlin veranlasst haben, war nicht mit letzter Sicherheit zu widerlegen. Zwar sprechen insoweit erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass es dem Angeklagten nicht nur darauf angekommen ist, den Opfern die Todesangst zu nehmen, sondern auch, die Tötungsaktion durch Aufrechterhaltung der Ruhe im Lager zu fördern. Für die letztere Möglichkeit spricht, dass der Angeklagte als Beauftragter für das Lager tätig war und es deshalb in seinem eigenen Interesse lag, die Aufrechterhaltung der Ordnung im Lager zu gewährleisten. Bei seiner Position musste ihm daran gelegen sein, die Insassen des Lagers in dem Glauben zu belassen, dass ihre Umsiedlung in ein anderes Lager erfolge. Der Angeklagte musste insbesondere damit rechnen, dass ein Aufruhr entstehen und Fluchtversuche unternommen würden, wenn der tatsächliche Sachverhalt bekannt geworden oder vermutet worden wäre. Hinzukommt, dass er es als SS-Führer nicht nötig hatte, über die Erklärung, dass die Umsiedlung erfolge, hinaus mehr zu tun. Schliesslich spricht gegen den Angeklagten, dass sein Vorgehen in den Gesamtplan ausgesprochen gut hineinpasste. Es ist bekannt, dass in ähnlichen Fällen in gleichartiger Weise verfahren wurde.

 

Andererseits konnte die Einlassung des Angeklagten, er habe ein recht gutes Verhältnis zu den Lagerinsassen gehabt, nicht widerlegt werden. Es ist unter diesen Umständen durchaus glaubhaft, dass die Angehörigen der jüdischen Selbstverwaltung den Angeklagten mit Fragen bestürmten und er sich dadurch zu der Erstellung der fingierten Lagerordnung veranlasst sah. Hinzukommt, dass es aus seiner damaligen Sicht nicht unbedingt nötig war, die Lagerinsassen in ihrem Glauben an eine Umsiedlung zu bestärken. Es ist denkbar, dass der Angeklagte seinerzeit davon ausgegangen ist, die Lagerinsassen seien nur an weiteren Einzelheiten