Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.700 LG Dortmund 16.01.1969 JuNSV Bd.XXXI S.675

 

Lfd.Nr.700    LG Dortmund    16.01.1969    JuNSV Bd.XXXI S.683

 

leistete, wenn er ihn befolgte. Das begründet er damit, dass er seinerzeit davon ausgegangen sei, nur einen "Leichenwagen" zu begleiten, während er mit dem Tötungsvorgang selbst überhaupt nichts zu tun gehabt habe.

Weiter meint der Angeklagte, er habe die Ausführung des ihm erteilten Befehls nicht verweigern können. Als SS-Offizier sei er zu bedingungslosem Gehorsam erzogen worden, so dass eine offene oder versteckte Verweigerung des Befehls nicht in Frage gekommen sei. Er habe zwar nach dem ersten Tage der Aktion ein Versetzungsgesuch an den BdS gerichtet und auch bei dem Leiter der Abteilung III um Befürwortung seiner Versetzung nachgesucht. Die wahre Begründung für das Versetzungsgesuch habe er jedoch nicht angegeben.

Die von ihm erfundene fingierte Lagerordnung will der Angeklagte ausschliesslich deshalb an die jüdische Selbstverwaltung übergeben haben, weil er den Juden die Todesangst habe nehmen wollen. Der Angeklagte behauptet dazu, er sei von den Juden mit Fragen nach den Verhältnissen in dem angeblichen neuen Lager bedrängt worden. Um sie nicht vorzeitig in Unruhe und Angst zu wissen, habe er ihnen die fingierte Lagerordnung übergeben. Es sei ihm dabei keinesfalls bewusst gewesen oder gar darauf angekommen, damit die Tötungsaktion selbst zu fördern.

 

VI. Die Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme

 

1.)

Die Einlassung des Angeklagten zur Entfernung des Eingangs zum Lager Semlin von der Save-Brücke wird durch die Darstellung der Zeugen Schäfer und Wet. widerlegt. Nach der Aussage des Zeugen Schäfer war das Lager von der Save-Brücke aus einzusehen, die nächstgelegenen Teile des Lagers etwa 200 Meter von der Brücke entfernt. Dieser Aussage kommt insbesondere deshalb eine grosse Bedeutung zu, weil der Zeuge Schäfer seinerzeit in seiner Eigenschaft als BdS Überlegungen angestellt hat, ob angesichts der Tatsache, dass das Lager von der Brücke aus einzusehen war, besondere Sicherungsvorkehrungen notwendig waren.

 

Angesichts dieses Umstandes kann davon ausgegangen werden, dass der Zeuge Schäfer die damaligen Verhältnisse in besonders in besonders guter Erinnerung hat. Seine Aussage wird im übrigen auch durch die Darstellung des Zeugen Wet. gestützt, der die Entfernung von der Brücke bis zur nächsten Stelle des Lagers noch geringer geschätzt hat. Der Zeuge Wet. war seinerzeit für einen längeren Zeitraum Wachhabender der Bewachungsmannschaft des Polizeibataillons 64. In dieser Eigenschaft musste er die äussere Lage des Lagers Semlin besonders gut kennen. Er hat angegeben, dass man um das Lager, ausgenommen die Seite zum Fluss hin, in etwa höchstens einer halben Stunde herumgehen konnte. Die drei vom Fluss abgelegenen Seiten des Lagers können demgemäss nur eine Länge von etwa 3 Kilometern gehabt haben. Diese Länge entspricht in etwa auch den Schilderungen von der Grösse des Lagers. Die Entfernung vom Lagertor bis zur Brücke kann demgemäss nur bis zu 3 Kilometern betragen haben.

 

2.)

Die Beweisaufnahme hat nicht eindeutig ergeben, wo die in den Gaswagen verladenen Juden getötet worden sind. Als völlig unwahrscheinlich ist es anzusehen, dass die Tötung bereits im Lager Semlin unmittelbar nach Beladung des Wagens erfolgt ist. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich die Gefahr einer Entdeckung des Tötungsvorganges durch die übrigen Lagerinsassen besonders gross. Es hätte zwangsläufig auffallen müssen, wenn der Motor des Gaswagens für längere Zeit in Gang gesetzt worden wäre, ohne dass Abgase aus dem Auspuff gekommen wären. Zwangsläufig hätte auch der im Rahmen des Tötungsvorganges aus dem Kasteninneren kommende Lärm entdeckt werden müssen. Es bestand schliesslich kein plausibler Grund dafür, die Tötung im Lager vorzunehmen und den Motor für längere Zeit laufen zu lassen, obwohl noch eine längere Fahrtstrecke zur Verfügung stand.