Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXI

Verfahren Nr.694 - 701 (1968 - 1969)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.700 LG Dortmund 16.01.1969 JuNSV Bd.XXXI S.675

 

Lfd.Nr.700    LG Dortmund    16.01.1969    JuNSV Bd.XXXI S.680

 

IV. Die Vergasung der jüdischen Insassen des Lagers Semlin

 

Da sich die Tötung der jüdischen Frauen und Kinder nicht unter dem Vorwand der Geiselerschiessung durchführen liess, verfielen die nationalsozialistischen Machthaber auf einen anderen Plan zu ihrer heimlichen Vernichtung. Anfang bis Mitte März 1942 wurde vom Reichssicherheitshauptamt nach vorheriger schriftlicher Ankündigung an den BdS in Belgrad ein aus den SS-Scharführern Götz und Meier 400 bestehendes Tötungskommando zusammen mit einem Spezialkraftwagen nach Belgrad entsandt. Bei dem Spezialkraftwagen handelte es sich um einen Saurer-Lastkraftwagen von der Grösse und dem ungefähren Aussehen eines Möbelwagens. Das Fahrzeug besass einen verschlossenen stabilen Kastenaufbau von 5 bis 6 Metern Länge, etwa 2 Metern Breite und 1,70 Meter Höhe. Am hinteren Ende befand sich eine fest verschliessbare Flügeltür. Der Laderaum konnte jeweils mindestens 50 Menschen aufnehmen. Das Fahrzeug war mit einer besonderen Vorrichtung (Hebel, Verbindungsschläuche und Rohre) ausgerüstet, die es ermöglichte, die giftigen kohlenoxydhaltigen Abgase des laufenden Motors in den Kastenaufbau zu leiten, so dass die darin befindlichen Menschen unter Angstzuständen, Übelkeitsanfällen und Kopfschmerzen nach kurzer Zeit entweder an Kohlenoxydvergiftung starben oder infolge Sauerstoffmangels erstickten. Die dazu dienende Vorrichtung war von aussen nicht sichtbar. Sie wurde von den Fahrern Götz und Meier bedient.

 

Der Zeuge Schäfer 401 beauftragte den dafür zuständigen Leiter der Abteilung IV, Sturmbannführer Sattler 402, damit, die im Lager Semlin befindlichen Juden mittels des in Belgrad eingetroffenen Gaswagens zu töten. Einen Tag vor Beginn der Tötungsaktion bestellte Sattler den Angeklagten zu sich und eröffnete ihm, dass nunmehr eine sogenannte "Umsiedlung" der Juden beginne. Diese würden innerhalb des von Berlin gekommenen Spezialkraftwagens in 5 Minuten "eingeschläfert". Dem Angeklagten wurde mitgeteilt, dass es sich bei dieser Aktion um eine "Geheime Reichssache" handele. Er wurde zur speziellen Verschwiegenheit verpflichtet. Sodann bekam er den Auftrag, für die Sicherstellung der Geheimhaltung der Aktion anlässlich der Fahrten des Spezialkraftwagens vom Lager Semlin zu den auf dem etwa 15 Kilometer entfernt gelegenen Schiessplatz Avelar befindlichen Begräbnisstätten Sorge zu tragen. Insbesondere wurde er darauf hingewiesen, dass eine Kontrolle des Lastkraftwagens an der Save-Brücke verhindert werden müsse. Da sich hier die Grenze zwischen dem kroatischen und serbischen Staatsgebiet befand, war die Gefahr einer Kontrolle durch kroatische Zoll- und Gendarmeriebeamte sowie deutsche Feldgendarmerie besonders gross. Dem Angeklagten wurde ein mit zwei Unterschriften versehenes Schreiben ausgehändigt, dessen Inhalt sinngemäss lautete, der Lastkraftwagen mit dem angeführten Polizeikennzeichen dürfe nicht kontrolliert werden und könne überall passieren. Dem Angeklagten wurde aufgetragen, dieses Schreiben im Falle von Kontrollen vorzuzeigen, damit die Geheimhaltung gewahrt werden konnte. Schliesslich erhielt der Angeklagte auch die Weisung, die Geheimhaltung der Entladung des Gaswagens an der auf dem Schiessplatz Avelar befindlichen Begräbnisstätte sicherzustellen. Zu diesem Zwecke wurden von der Dienststelle des BdS vier Angehörige des Polizeibataillons 64, u.a. die Zeugen Wet. und Lin., herangezogen. Diese Zeugen wurden am Tage vor Beginn der Aktion auf der Dienststelle des BdS ebenfalls über ihren Einsatz im Rahmen einer Geheimen Reichssache hingewiesen und zu besonderer Verschwiegenheit verpflichtet. Sodann wurde ihnen aufgegeben, sich am nächsten Morgen zu einer bestimmten Zeit am Gefängnis einzufinden, wo ihnen

 

400 Lt. Urteil Lfd.Nr.362: Goetz und Meyer.

401 Siehe Lfd.Nr.362 und 403.

402 Sattler wurde vom LG Greifswald am 3.7.1952 u.a. wegen seiner Beteiligung an der Judenvergasung in Semlin zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt; siehe DJuNSV Bd.IV S.469 ff. (Lfd.Nr.1163).