Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.679

 

das auch. Es habe noch mehr Einzelvorfälle um gestohlenes Essen gegeben. Frenzel habe wiederholt die Befehle zum Durchsuchen der Baracken nach versteckten Lebensmitteln gegeben.

 

Der 1921 geborene Zeuge Abraham Mar. hat ausgesagt, er sei im Mai 1942 mit einem grossen Bahntransport nach Sobibor gekommen. Bei ihrer Ankunft seien Wagner, Frenzel und die weiteren Oberen der SS-Männer an der Rampe gewesen; Wagner hätte angeordnet, Frauen und Kinder und Alte nach rechts und Männer nach links raus. Wagner habe aus den Männern dann 50 Leute herausgesucht. Er sei zum Bahnhofskommando gekommen, auch der Zeuge Bah. sei dort zeitweise eingesetzt gewesen.

 

Die Koffer und andere Gepäckstücke seien ins Lager II gekommen und dort sortiert worden, Sortierbaracken habe es zu der Zeit noch nicht gegeben. In der ersten Zeit sei Paul Groth für sie verantwortlich gewesen; der habe praktisch täglich einen umgebracht. Wenn jemand auch nur geringfügig verletzt gewesen sei, z.B. am Finger, habe Paul Groth denjenigen zum "Lazarett" gebracht, man habe einen Schuss gehört und er sei dann zurückgekehrt und habe mit zynischem Lächeln gefragt, ob noch einer krank sei. Nach einigen Wochen seien bestimmte Arbeitsgruppen eingerichtet worden; Frenzel habe 20 Männer ausgesucht, die besonders flink und stark gewesen seien. Es sei das Bahnhofskommando gewesen, für das Frenzel genauso wie für die Appelle im Lager I von da ab verantwortlich gewesen sei.

 

Sie, die Mitglieder des Bahnhofskommandos, hätten es ermöglicht, dass sich ein Jude zwischen Gepäckstücken in einem für den Abtransport beladenen Eisenbahnwaggon habe verstecken können, der sei in der darauffolgenden Nacht aus dem ausserhalb des Lagers abgestellt gewesenen Waggon entflohen. Am nächsten Morgen hätten die SS-Männer entdeckt, dass ein Fenster des Waggons offen gewesen sei. Wagner und die Deutschen hätten geglaubt, es sei etwas gestohlen worden, und als Strafe dafür, dass sie das Fenster nicht ordnungsgemäss zugemacht hätten, sei jeder mit 50 Peitschenhieben geschlagen worden. Das sei von einem der bedeutenderen SS-Leuten wie Wagner, Frenzel oder so einem angeordnet worden. Überhaupt hat der Zeuge sehr umfangreichere, auch mit früheren Aussagen weitgehend in Übereinklang stehende Schilderungen von seiner Tätigkeit im Bahnhofskommando und unter Frenzel allgemein abgegeben. So hat er auch jenen Transport geschildert, bei denen in den Waggons sehr viele Leichen gelegen hätten, die aufgequollen, schon grünlich gewesen seien. Je 2 bis 3 Mann hätten an einer Leiche ziehen müssen, um sie heraus und auf eine Lore zu bekommen; die Haut sei ihnen an den Händen klebengeblieben. Die Mitglieder des Arbeitskommandos hätten sich erbrechen müssen, man habe ihnen Zigaretten zum Rauchen gegeben, damit sie den Gestank hätten einigermassen ertragen können. In jenem Transport habe es auch Lebende gegeben, die so gewesen seien, als hätten sie ihren Verstand verloren gehabt. Einer aus einem Waggon sei auf die Rampe gekommen und unter den Zug gekrochen; daraufhin sei Frenzel an ihn herangetreten und habe ihn mit seiner Pistole erschossen. Jener Transport sei, so habe er gehört, aus Lemberg gekommen. Zeitlich könne er die Ankunft des Transportes nicht mehr sicher einordnen.

 

Die aus dem Westen in "Luxuszügen" ankommenden Juden hätten geglaubt, sie kämen zur Arbeit in die Ukraine. Sie hätten so wenig geahnt, was sie in Sobibor erwartet habe, dass ihm einmal sogar eine Frau Geld dafür habe geben wollen, dass er ihr das Gepäck trage, sie habe ihn für einen Gepäckträger gehalten. Die Menschen in den polnischen Transporten hätten zumindest auch in der Anfangszeit nicht geahnt, wohin es gegangen sei. Ihm selbst sei es auch so gegangen. Später seien die aus Polen eintreffenden Transporte nicht mehr ganz so ahnungslos gewesen. Deswegen sei es beim Abfertigen der Transporte schon mal zu Unruhen gekommen, solche Transporte seien dann direkt ohne Aufenthalt ins Lager III gejagt worden, sie hätten sich nicht mal mehr ausziehen müssen.