Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.676

 

"Mauthausen, den 1.Oktober 1944

Frau Anna Wagner

Wels

Traungasse 21

 

Sehr geehrte Frau Wagner!

 

Ihre Ehegatte Karl Wagner wurde am 18.September 1944, als er einen Fluchtversuch unternahm, erschossen.

Ich spreche Ihnen zu diesem Verlust mein Beileid aus.

Warum ihr Ehemann diese aussichtslose Flucht unternommen hatte, kann ich leider nicht angeben, vermute aber, dass er die Tat in einer momentanen geistigen Verwirrung ausführte. Auch kann Ihr Mann nicht in Unkenntnis der allgemeinen Bestimmungen gehandelt haben, denn er ist öfters darüber belehrt worden, dass jeder Fluchtversuch mit allen Mitteln unterbunden wird.

 

I.A.

Sch., SS-Obersturmführer."

 

Die Verwendung solcher "Beileidsschreiben" beruhte auf einem Erlass des Reichssicherheitshauptamtes. Der Angeklagte hat sich zu diesem Tatvorwurf wie folgt eingelassen:

Die Häftlinge der "Welsergruppe" seien am 7.September 1944 von der Gestapo-Leitstelle Linz in das Konzentrationslager Mauthausen eingeliefert worden. Es sei möglich, dass sie erst einige Tage später in den Lagerbestand aufgenommen worden seien. Die Vernehmung dieser Häftlinge hätten die Angehörigen der Gestapo in einem Raum der Baracke der politischen Abteilung durchgeführt. Er, der Angeklagte, sei lediglich einmal am zweiten Tag der Vernehmungen kurze Zeit in dem Vernehmungszimmer gewesen. Bei dieser Gelegenheit habe er gesehen, dass einer der Häftlinge von Pöttscher vernommen worden sei. Der Häftling sei dabei auch geschlagen worden. Er habe dann das Vernehmungszimmer verlassen und habe danach den Vernehmungen nicht mehr beigewohnt. Es sei richtig, dass er die Todesbenachrichtigungen und "Beileidsschreiben" an die Angehörigen der "Welsergruppe" gesandt habe. Ermittlungen wegen unnatürlicher Todesfälle oder Tatberichte habe er in diesen Fällen jedoch nicht gemacht. Er habe gegen die Misshandlungen der Häftlinge auf der politischen Abteilung durch die Gestapobeamten nichts unternehmen können, da diese Häftlinge der Gestapo unterstanden hätten.

 

Diese Einlassung des Angeklagten ist, soweit sie den vorstehend wiedergegebenen Feststellungen widerspricht, durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Die getroffenen Feststellungen über die Einlieferung der Häftlinge, die Vernehmungen und die Misshandlungen dabei, sowie über ihre weitere Behandlung und ihre Tötung im Steinbruch Wiener-Graben beruhen unter anderem auf der Aussage des Zeugen Richard Di., dessen Angaben durch eine Reihe anderer Zeugen sowie durch Urkunden bestätigt und ergänzt worden sind.

 

Di. ist zur Hauptverhandlung nicht erschienen; er ist Österreicher und wohnt in Wels. Er ist am 23.März 1966 vor einem österreichischen Gericht in Wels in Gegenwart eines Richters der Strafkammer, die über die Eröffnung des Verfahrens gegen Schul. und Streitwieser zu entscheiden hatte, vernommen worden. Das Vernehmungsprotokoll ist in der Hauptverhandlung verlesen worden. Es bestehen keine Bedenken dagegen, dass dieses Protokoll die Angaben Di.s zuverlässig wiedergibt.

 

Auch gegen die persönliche Glaubwürdigkeit dieses Zeugen bestehen keine Bedenken. Er ist nach seinen Angaben in Wels aufgewachsen, hatte dort Schulen besucht und anschliessend einen Beruf erlernt. Zur Zeit seiner Vernehmung war er als Tabakwarenhändler tätig. Er war als Kommunist Gegner des nationalsozialistischen Regimes und ist aus politischen Gründen