Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.675

 

Am nächsten Tage, am 18.9.1944, mussten die übriggebliebenen fünf Häftlinge erneut die gleiche Arbeit verrichten. Diesmal hatten sie vorher Schuhe und eine Jacke zum Anziehen erhalten. Auf dem Rücken der Jacken wurden vor Beginn der Arbeit auf dem Appellplatz Kennzeichnungen angebracht, damit diese fünf Häftlinge von den übrigen Häftlingen der Strafkompanie unterschieden werden konnten. Dies hatte den Zweck, den Kommandoführern und Posten das Erkennen derjenigen Häftlinge, welche zu Tode gehetzt werden sollten, zu erleichtern. An diesem Tage wurden fünf weitere Häftlinge aus der Gruppe erschossen. Zwei von ihnen warfen vor Erschöpfung ihre Tragen weg und wurden daraufhin erschossen; die anderen drei wurden erschossen, nachdem sie entweder vor Erschöpfung zusammengebrochen waren oder vor Verzweiflung in Richtung auf die Postenkette gelaufen waren.

 

Übrig blieb allein der Zeuge Di., der eine besonders widerstandsfähige Konstitution hatte. Als er nach der Erschiessung seiner Kameraden, beladen mit einem Stein, die vom Steinbruch heraufführende Treppe hoch kam, bemerkte er oben den Kriminalbeamten Pöttscher und einen SS-Führer, die dort standen. Pöttscher beschimpfte den Zeugen und sagte zu ihm, wenn er noch einmal die Treppe herauf käme, dann würde er, Pöttscher, ihn erschiessen. Der dabeistehende SS-Führer machte eine Bemerkung, die sich auf die widerstandsfähige Konstitution des Zeugen bezog. Er sagte etwa: "Der hat ja ein Leben wie eine zähe Katze". Anschliessend durfte Di. mit dem Steinetragen aufhören und sich auf seine Baracke begeben. Noch am gleichen Tage wurde er nachmittags aus seinem Block herausgerufen. Draussen standen mehrere SS-Führer des Konzentrationslagers, darunter der Lagerkommandant Ziereis, ferner der Kriminalassistent Pöttscher. Ziereis fragte den Zeugen, wo seine Kameraden seien. Der Zeuge erwiderte, er wisse das nicht, woraufhin Ziereis dem Sinne nach sagte: "Der Hund hat nochmal Glück". Es kann sein, dass diese Bemerkung nicht von Ziereis selbst, sondern von einem der anderen SS-Führer gemacht worden ist. Di. wurde danach zu anderen Arbeiten herangezogen. Später gelang es ihm, sich mit Hilfe von Häftlingskameraden im Lager zu verbergen. Er fürchtete, doch noch umgebracht zu werden.

 

Nach der Tötung der 14 Häftlinge der Welsergruppe veranlasste der Angeklagte Schul., wie vorgesehen, dass mit den Posten, welche die Häftlinge erschossen hatten, ein Protokoll aufgesetzt wurde, in dem die Erschiessung als "Erschiessung auf der Flucht" dargestellt wurde. Er liess die Posten, darunter den Zeugen He., zur Vernehmung in die politische Abteilung kommen. Dort wurde das Protokoll aufgesetzt. Bei dieser Gelegenheit wurde von einem SS-Angehörigen der politischen Abteilung den Posten gesagt, sie brauchten sich wegen der Erschiessung keine Sorge zu machen; die Vernehmung sei lediglich eine Formsache für das SS-Gericht in Wien. Es werde ihnen nichts passieren.

 

Der Zeuge Krü., SS-Unterführer der politischen Abteilung, trug den Tod der 14 Häftlinge wie üblich in das Buch "unnatürliche Todesfälle" ein. In die Spalte "Art des Todes" schrieb er: "Erschiessung", was Erschiessung auf der Flucht bedeutete. Er trug auch die Namen der Posten in das Buch ein, darunter den Zeugen He., als "SS-Schütze Phillip He.". Der Angeklagte fertigte nun Tatberichte an, in denen er die Tötungen als Erschiessungen auf der Flucht darstellte und sandte die Berichte am 10. und 17.Oktober 1944 an das SS- und Polizeigericht in Wien ab. Erwartungsgemäss trafen die Einstellungsverfügungen dieses Gerichtes kurze Zeit später, nämlich am 2., 4. und 11.November 1944 in der politischen Abteilung ein.

 

Ausserdem sandte der Angeklagte an die Angehörigen der getöteten Häftlinge ausser der üblichen Todesbenachrichtigung, deren Wortlaut bereits auf Seite 621 angegeben ist, Anfang Oktober 1944 Beileidsschreiben, die wie folgt lauteten: