Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.67

 

auswirken können. Den Häftlingen wäre auch bei der Wahl eines anderen Platzes wegen des weiteren Weges dorthin eine grössere Möglichkeit zur Gegenwehr geblieben, als es jetzt der Fall war. Es ist noch nicht einmal sicher, dass sich die Haupttäter über die Tötungsanordnung hinaus überhaupt Gedanken zum Exekutionsvorgang gemacht haben. Vermutungen, die hierüber angestellt werden können, reichen für eine sichere Überzeugungsbildung nicht aus. Hinreichend sicher ist nur, dass bei den Haupttätern Vorstellungen über die Tötungsart, nämlich das Erschiessen durch Genickschuss, vorgelegen haben. Insoweit stützt sich die Überzeugung auf den Ausführungen des Sachverständigen Prof.Dr. Kra. Diese Feststellung genügt für eine Strafbarkeit jedoch nicht, weil es sich bei der Tötung durch Genickschuss nicht um ein Merkmal des §211 StGB handelt. Weitere Tatsachen, die einen Rückschluss auf das Vorstellungsbild des oder der Haupttäter zulassen würden, etwa durch den Hinweis, im Tötungsbefehl, die Opfer seien "auf der Flucht" zu erschiessen, konnten nicht festgestellt werden.

 

Da der Nachweis nicht geführt werden konnte, dass die Haupttäter direkt oder bedingt vorsätzlich handelnde Mörder im Sinne einer heimtückischen Tötung waren, konnten die Angeklagten wegen Beihilfe zu einer heimtückischen Tötung auch nicht bestraft werden.

 

6.4 Mordmerkmal niedriger Beweggrund

 

Das Schwurgericht hat aber auch nicht feststellen können, dass die Angeklagten Beihilfe zu einem Mord aus niedrigen Beweggründen geleistet haben. Hierzu fehlt es am Nachweis, dass eine niedrige Motivation im Sinne des §211 StGB bei dem oder den Haupttätern vorgelegen hat, so dass offen bleiben kann, ob die Angeklagten eine solche eventuell vorhandene Motivation als eigene übernommen haben.

 

Niedrig in diesem Sinne sind die Beweggründe des Täters, wenn sein Handeln von Vorstellungen bestimmt war, die nach gesundem Empfinden sittlich verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen, wobei die Gesamtumstände der Tat zu berücksichtigen sind (BGHSt. 2/63; 3/133; BGH in NJW 54/565; 67/1141). Bei der Form des Mordes nach den Tatbeweggründen steht im Gegensatz zur Form des Mordes nach der Begehungsweise die Würdigung der Täterpersönlichkeit im Vordergrund (BGHSt. 3/330), wobei es auf eine Gesamtwertung der Beweggründe ankommt, wenn der Täter sich durch eine Vielzahl von Vorstellungen zur Tat bestimmen lässt. Allerdings genügt es zur Anwendung von §211 StGB, wenn ein wesentlicher Beweggrund niedrig ist (BGH v. 16.4.1953 - 1 StR 709/52 17 - unveröffentlicht, unter Hinweis auf OGHSt. 1/133, 137; 1/321, 328).

 

Das Schwurgericht hat nicht feststellen können, wer Haupttäter war. Es konnte daher auch nicht die Persönlichkeit des oder der Täter und in Verbindung hiermit deren Tatmotive prüfen. Es konnte zum Beispiel nichts darüber festgestellt werden, welche Kenntnis der Haupttäter von der damaligen militärischen Lage und den Möglichkeiten einer rechtzeitigen und geordneten Rückführung der Gefangenen besass, und ob er etwa irrige Vorstellungen darüber besass, weil ihm die Lage unrichtig oder entstellt vorgetragen worden war. Die Würdigung solcher Umstände hielt das Schwurgericht für unabdingbar; denn es war nicht möglich, von der Untat allein mit der erforderlichen Sicherheit auf die Motive der Täter zu schliessen, gleich, wer diese Täter auch gewesen sein mögen. Der Umstand, dass hier in wenigen Stunden eine unverhältnismässig grosse Anzahl Gefangener ohne vorliegende Todesurteile getötet wurde, obwohl für den späteren Betrachter ein Anlass hierfür nicht vorlag, reicht für die Charakterisierung der Tätermotive als besonders verwerflich und niedrig im Sinne von §211

 

17 Siehe Lfd.Nr.673c.