Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.664

 

Dass sich dieser Zeuge, wie bereits ausgeführt, möglicherweise auch insoweit in den Zeitverhältnissen geirrt hat, als er annahm, die Häftlinge seien bereits am 5.September 1944 eingetroffen und hätten zunächst die Nacht im Bunker verbracht, während in Wirklichkeit die Häftlinge wahrscheinlich am Morgen des 6.September 1944 eingetroffen sind und der erste Teil von ihnen am Nachmittag dieses Tages getötet worden ist, berührt ebenfalls nicht den hier interessierenden Kern der Aussage des Zeugen, nämlich den Umstand, dass die politische Abteilung vor dem Ausrücken der Häftlinge zur Arbeit die Aufnahmeformalitäten erledigte.

 

Wenn der Zeuge Her. demgegenüber angegeben hat, die Häftlinge seien vor dem Ausrücken vor der Lagerschreibstube angetreten, dort seien Ziereis und Bachmayer zugegen gewesen und einzelne Häftlinge seien hier bereits misshandelt worden, so ist dies kein Widerspruch der Aussage des Zeugen Kan.: Her., der in der Lagerschreibstube im Schutzhaftlager beschäftigt war, kann die Vorgänge vor und in der politischen Abteilung nicht beobachtet haben. Es liegt auch nahe, dass die Häftlinge nach den Aufnahmeformalitäten in der politischen Abteilung ins Schutzhaftlager geführt wurden, weil dort die Arbeitskommandos zusammengestellt und die Kapos und die Kommandoführer eingeteilt wurden. Es mussten auch die entsprechenden Meldungen über den Arbeitseinsatz in der Lagerschreibstube geschrieben werden.

 

Steht demnach fest, dass die 47 Häftlinge in der üblichen Weise in der politischen Abteilung den Aufnahmeformalitäten unterzogen worden sind, so spricht auch dies dafür, dass der Leiter der politischen Abteilung, der Angeklagte Schul., bereits zu diesem Zeitpunkt über das vorgesehene Schicksal der Häftlinge informiert worden ist. Die Organisation im Konzentrationslager war nicht so, dass jede Abteilung für sich arbeitete und die jeweils ihr zugewiesenen Zuständigkeiten ausübte. Vielmehr waren, wie bereits mehrfach erwähnt, die Zuständigkeiten nicht immer völlig genau abgegrenzt. Man legte auch keinen grossen Wert darauf. Es kam auf die Zusammenarbeit aller Abteilungen an. Dies bedeutete aber andererseits, dass die jeweils beteiligten Abteilungschefs darüber unterrichtet werden mussten, wenn mit einer Gruppe von Häftlingen etwas Besonderes geschehen sollte.

 

Schliesslich spricht noch der Vorfall, bei dem der Angeklagte Schul. während der Tötung der Häftlinge den Zeugen Stro. anschnauzte und ihm bedeutete, er möge sich nicht in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen, dafür, dass der Angeklagte von vorneherein wusste, dass und wie die Häftlinge getötet werden sollten.

 

Dieser erwähnte Vorfall ist erwiesen: Dem Zeugen Stro., der den Vorfall anschaulich und zusammenhängend geschildert hat, hat das Schwurgericht Glauben geschenkt. Entscheidende Bedenken gegen die persönliche Zuverlässigkeit Stro.s bestehen nicht. Zwar war er in den Jahren 1931 bis 1934 wegen Geistesschwäche entmündigt. Dies hat er jedoch in der Hauptverhandlung überzeugend damit erklärt, er habe in seiner Jugend einmal eine Dummheit gemacht die seine Eltern mit Hilfe eines geeigneten Sachverständigen und des §51 StGB "ausgebügelt" hätten. Der von Stro. berichtete Vorfall widerspricht auch nicht unter Berücksichtigung der damaligen Umstände der Lebenserfahrung. Er protestierte nach seiner Darstellung nicht etwa gegen die unrechtmässige Erschiessung der Fallschirmagenten, sondern nur gegen die "Ordnungswidrigkeit", die darin bestand, dass anlässlich dieser Erschiessung ein unbeteiligter Häftling fahrlässig verletzt worden war. Damit hielt Stro. sich durchaus im Bereich der damals herrschenden Mentalität der SS-Leute, denen das Leben eines Häftlings weniger galt als irgendeine geringfügige Ordnungs- oder Disziplinwidrigkeit. Unter diesen Umständen brauchte Stro. für sein Verhalten auch weder besonderen Mut noch eine antinationalsozialistische Einstellung. Der geschilderte Vorfall passt auch recht gut zu dem etwas salbungsvollen und rechthaberischen Auftreten Stro.s in der Hauptverhandlung.