Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.663

 

Der Zeuge hat auch geschildert, wie Michel zu den Ankömmlingen geredet habe. Befragt, ob diese Rede einen Sinn gehabt habe, wenn gleichzeitig im Lager III getötet worden sei, hat er darauf hingewiesen, dass mehrere hundert Meter dazwischengelegen hätten; gleichwohl habe man die Erstickenden aus den Gaskammern hören können; deswegen seien wohl die Gänse mit ihrem Geschnatter und Geschrei dagewesen.

 

Zu einzelnen Bekundungen hat er nicht mehr gestanden, so auch zu derjenigen nicht mehr, die er noch 1965 abgegeben hatte, "Bol. hat einige Kinder getötet; ich meine, es wären 3 bis 4 Fälle gewesen. Diese Fälle habe ich selbst gesehen. Frenzel hat das viel mehr getan."; insgesamt hat sich der Zeuge um eine zurückhaltende Darstellung bemüht.

 

Als zutreffend hat er die Frage bejaht, ob im ersten Hagener Sobibor-Verfahren Frau Miriam Nowitch 402 versucht habe, Einfluss auszuüben auf Aussageinhalte; er sei aber nicht beeinflusst worden, einzelne Fälle zu erfinden, soweit er sich jedenfalls erinnere.

 

Der Zeuge Aizik Ron. (geboren 1925) ist erstmals im Mai 1962 über seine Erlebnisse in Sobibor vernommen worden. Er hat in der jetzigen Hauptverhandlung zunächst über sein Verfolgungsschicksal und das seiner gesamten Familie gesprochen und nach Erörterungen früherer Angaben in eidesstattlichen Versicherungen schliesslich eingeräumt, dort zum Schicksal seiner Angehörigen teilweise unzutreffende Angaben gemacht zu haben. Über Sobibor hat er sodann berichtet, er sei dort im Mai 1943 hingekommen. Er habe zuletzt noch in Wlodawa, ca. 7 km vom Lager entfernt, gelebt gehabt und sei schliesslich bei einer Durchsuchung des dortigen Ghettos mit weiteren 100 bis 150 Menschen aufgestöbert und als Fusstransport nach Sobibor verbracht worden. Während er und sein Bruder als Bauhandwerker herausgenommen worden seien, seien die anderen getötet worden.

 

Besonders Frenzel und Wagner hätten sich an allen möglichen Schikanen beteiligt, die an den Arbeitern vorgenommen worden seien. Sie hätten sie insbesondere geschlagen oder auch mal mit Steinen nach ihnen geworfen. So habe er einmal einen Ziegelstein in den Rücken bekommen, die Verletzung sei als Narbe noch zu sehen.

 

Einige Male sei er aushilfsweise beim Bahnhofskommando eingesetzt gewesen. Er könne sich vor allem an einen Transport erinnern, damals seien praktisch nur Tote angekommen. Der Transport sei wohl aus Russland gekommen. Der Angeklagte hat hierzu erklärt, es sei zwar ein Transport mit vielen Leichen aus Biala-Podlaska gekommen, das sei aber 1942 gewesen, 1943 jedenfalls nicht. Der Zeuge hat hieraufhin bekundet, er könne sich jedoch genau an diesen Transport erinnern. Zu seiner Zeit seien die übrigen Transporte zumeist aus Holland gekommen, später auch welche aus Russland.

 

Zu seinen allgemeinen Lagerbeschreibungen haben sich keine abweichenden Gesichtspunkte gegenüber dem Stand ergeben, der auf den Einlassungen des Angeklagten beruht. Ron. hat sich auch zu der Zahl der Arbeitsjuden in Sobibor erklärt. Im Gegensatz zu den meisten anderen vernommenen Zeugen hat er gemeint, die Gesamtzahl von 600 halte er für übertrieben, die Zahl von 300 (männliche Arbeitsjuden) könne schon eher stimmen. Zur deutschen Lagermannschaft befragt, hat er erklärt, die Namen der meisten Deutschen seien ihm zwar bekannt, er erinnere sich aber nicht mehr an Einzelheiten. Er erinnere sich eigentlich nur noch an Wagner und Frenzel. Diese beiden seien am meisten in Erscheinung getreten, vor allem durch Schläge und ähnliche Drangsalierungen, die seien so aufgetreten, als kommandierten sie alles. Er glaube, Wagner habe wohl noch mehr Einfluss gehabt, habe vielleicht auch noch mehr geschlagen als Frenzel. Jedenfalls seien Frenzel und Wagner die wichtigsten,

 

402 Im Urteil sonst Novitch geschrieben.