Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXVI

Verfahren Nr.758 - 767 (1971 - 1972)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.758 LG Kiel 02.08.1971 JuNSV Bd.XXXVI S.5

 

Lfd.Nr.758    LG Kiel    02.08.1971    JuNSV Bd.XXXVI S.66

 

Eigenschaft in einem Zustand weitgehender Beschränkung ihrer Bewegungs- und Verteidigungsfreiheit befinden. Dennoch steht auch den Häftlingen in einem Zuchthaus eine gewisse eng begrenzte Bewegungsfreiheit und Verhaltensgestaltung zu, die es ihnen beispielsweise erlaubt hätte, auf dem Wege von der Zelle bis zur Exekutionsstätte den Wachmannschaften derartige Schwierigkeiten zu bereiten, dass eine reibungslose Exekution nicht durchführbar gewesen wäre. Die Absicht des Tötungskommandos, gerade solche Schwierigkeiten zu vermeiden, ist in der Art der Zuführung der Gefangenen und der Wahl des Exekutionsortes in einer Ecke der Zuchthausmauern hinter einem mehrstöckigen Gebäude, in dem sich keine Gefangenen befanden, zu erkennen. Die so geschaffene Lage hat das SS-Kommando benutzt, um eine grosse Anzahl Gefangener in möglichst kurzer Zeit erschiessen zu können. Dieser Auffassung steht ein nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtshofes vom 20.9.1966 (5 StR 321/66, Urteilsseite 9 15) nicht entgegen, in dem Ausführungen über die Voraussetzungen der Wehrlosigkeit eines Häftlings enthalten sind. Hier werden nur die subjektiven Voraussetzungen beim mittelbaren Täter aufgezeigt, nicht aber festgestellt, dass eine heimtückische Tötung eines Häftlings wegen fehlender objektiver Voraussetzungen nicht möglich sein kann.

 

Weder aus dem gesamten Geschehen, noch aus den wenigen hier festgestellten Gesprächen, die Ric. mit Nic. oder mit vorgesetzten Dienststellen geführt haben, konnte mit Sicherheit der Schluss gezogen werden, dass Ric. im Einzelnen über die Umstände der Tötung informiert war, also insbesondere wusste oder sich die Möglichkeit vorstellte, dass die Arglosigkeit der Häftlinge ausgenutzt werden sollte. Die subjektive Einstellung Nic.s hierzu konnte dahinstehen; denn der Gehilfe kann nur dann wegen Beihilfe zum Mord verurteilt werden, wenn in der Person des Haupttäters - mittelbaren Täters - ebenfalls die den Mord begründenden besonderen Merkmale festgestellt werden können. Der Teilnehmer kann nur nach dem Gesetz bestraft werden, dessen Tatbestand der Haupttäter rechtswidrig, wenn auch schuldlos erfüllt hat (BGHSt. 1/368/370). Hat daher nur der Gehilfe, nicht jedoch der mittelbare Täter die Merkmale des Mordes erfüllt, kann der Gehilfe nur wegen Beihilfe zum Totschlag, nicht jedoch wegen Beihilfe zum Mord bestraft werden (so auch BGH Urteil v. 19.6.1952 - 3 StR 10/50 16). Zur Strafbarkeit wegen heimtückischen Mordes beim Gehilfen gehört die Feststellung, dass der oder die Haupttäter die Arg- und Wehrlosigkeit und deren Ausnutzung zur Tötung der Opfer gekannt haben (Schönke-Schröder, StGB, 15.Aufl. 1970 Vorbem. 81-82 zu §47) oder, bei bedingtem Vorsatz, diese Möglichkeit sich vorgestellt haben.

 

Ob das der Fall war, hat das Schwurgericht nicht hinreichend sicher feststellen können. Da der oder die Haupttäter nicht bekannt sind, war nur zu beurteilen, ob diese besonderen Merkmale der Heimtücke bei jedem der in Betracht kommenden Täter vorgelegen haben müssen, ob jeder der Täter in seine Erwägungen mit eingeschlossen haben muss, dass die Häftlinge erst durch den Anblick des Exekutionskommandos zu einem Zeitpunkt ihr Schicksal erahnen würden, als es für jede Gegenwehr zu spät war und ihnen nur noch übrig blieb, ihren Tod hinzunehmen. Eine solche Feststellung war aber nicht zu treffen. Da die Tötungsanordnung von höheren Stellen gekommen war, sich aber keinerlei Beweise dafür gefunden haben, dass auch Einzelheiten des Exekutionsvollzuges bestimmt worden waren, muss bedacht werden, dass diese Einzelheiten von den Haupttätern nicht angeordnet oder billigend in Betracht gezogen worden sind. Nach dem Beweisergebnis erörterte das Erschiessungskommando erst an Ort und Stelle, welche Erschiessungsstätte ausgewählt werden sollte. Hierbei wurden drei verschiedene Plätze in Erwägung gezogen, nämlich ausserhalb der Anstalt auf einem Feld, ausserhalb der Anstalt an der Anstaltsmauer und der schliesslich gewählte Platz. Bereits das Zuführen der Häftlinge zu jedem dieser Plätze hätte sich anders auf ihren Argwohn

 

15 = JuNSV Bd.XXIII S.326.

16 Siehe Lfd.Nr.325b.