Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.655

 

Häftlinger verwendet worden war und die die Möglichkeit bot, die absichtliche Tötung nach aussen hin, also gegenüber anderen Stellen ausserhalb des Konzentrationslagers, zu verschleiern. Diese Methode bestand darin, die Häftlinge zu zwingen, Steine aus dem Steinbruch über die Treppe zu einer Baustelle im oder am Schutzhaftlager zu tragen, die Häftlinge dabei zu Tode zu hetzen und ihren Tod dann als Erschiessung auf der Flucht darzustellen.

 

Auf diese Weise waren z.B. in der Zeit von Sommer bis Ende 1941 mehrere Hundert holländische Juden getötet worden. Das Herauftragen der Steine zu den Baustellen am oder im Schutzhaftlager wurde in der Regel von der sogenannten "Strafkompanie" besorgt. Die Arbeitsbedingungen dieser Strafkompanie waren an sich schon unmenschlich schwer. Es gab aber Häftlinge, die diese Arbeitsbedingungen über einige Zeit, sogar über Monate, durchhielten, insbesondere, wenn sie von den Kommandoführern und Kapos nicht übermässig gehetzt und angetrieben wurden. Wenn einer der Kapos oder der Kommandoführer einen der Häftlinge jedoch beseitigen wollte, weil er ihm aus irgendeinem Grunde missliebig geworden war, so genügte es, diesen Häftling während der schweren Arbeit ständig anzutreiben mit Schlägen und Beschimpfungen, bis dieser Häftling irgendeine Handlung vornahm, die als Fluchtversuch, Arbeitsverweigerung oder Befehlsverweigerung ausgelegt werden konnte. Er konnte dann mit dem Anschein des Rechts erschossen oder erschlagen werden. Unter Umständen genügte es schon, wenn ein Häftling den Stein, den er die Treppe herauftragen musste, nicht mehr halten konnte, sondern fallen liess. Es kam aber auch vor, dass Häftlinge aus körperlicher und seelischer Erschöpfung in Verzweiflung gerieten und selbst den Tod suchten, indem sie gegen den elektrischen Drahtzaun, in Richtung auf die Postenkette, liefen, wo sie dann "auf der Flucht" erschossen wurden, oder indem sie die steile Wand am Rande des Abhanges zum Steinbruch hinabsprangen und auf diese Weise den Tod fanden.

 

Es war infolgedessen allgemein bekannt, dass die sogenannte "Strafkompanie", die auch "Wiener-Graben-Kommando" genannt wurde, in vielen Fällen einem Todeskommando gleichkam. Diese Methode wählte nun der Lagerkommandant Ziereis, um die 47 alliierten Fallschirmagenten zu töten. Er unterrichtete den Angeklagten Schul. davon und vergewisserte sich, dass Schul. im Rahmen seines Aufgabenbereiches "mitmachen" würde, insbesondere die Tatberichte so abfassen würde, dass nach aussen hin, auch gegenüber dem SS- und Polizeigericht in Wien, nicht erkennbar war, dass es sich um eine absichtliche Tötung gehandelt hatte. Schul. war mit dem Plan auch einverstanden und bereit, im Rahmen seiner Funktionen im Konzentrationslager das Seine dafür zu tun, dass die Tötung ohne Schwierigkeiten vonstatten ging und nach aussen vertuscht wurde, weil ihm das Schicksal der Häftlinge gleichgültig war und er sein gutes Verhältnis zum Lagerkommandanten nicht trüben wollte. Es konnte jedoch nicht sicher festgestellt werden, dass er die Tötung der Häftlinge auch zu seiner eigenen Angelegenheit gemacht hat und entschlossen war, auch von sich aus alles in seinen Möglichkeiten stehende dafür zu tun, dass alles wie geplant ablief. Vielmehr ist möglich, dass Schul. die Tötung der Häftlinge als eine Angelegenheit des Lagerkommandanten, evtl. noch des Schutzhaftlagerführers und der Kommandoführer ansah und dabei nur im Rahmen seiner Aufgaben und Funktionen helfen wollte.

 

In welcher Form die Verständigung zwischen dem Lagerkommandanten und Schul. vor sich gegangen ist, ist im Einzelnen nicht geklärt. Es ist möglich, dass der Lagerkommandant Schul. gegenüber lediglich erklärt hat, die Leute kämen ins Wiener-Graben-Kommando und dass er eine Andeutung beigefügt hat, aus der Schul. entnehmen sollte und entnommen hat, dass die Häftlinge dort getötet würden. Diese Möglichkeit besteht deshalb, weil die Tötung von Häftlingen auf die beschriebene Weise bei der Arbeit im Kommando Wiener-Graben vorher bereits häufiger praktiziert worden war, so dass es einer ausführlichen Erörterung und Festlegung der Einzelheiten des Planes über die Tötung der 47 Fallschirmagenten nicht mehr bedurfte.