Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.740 LG Frankfurt/M. 08.10.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.645

 

Lfd.Nr.740    LG Frankfurt/M.    08.10.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.649

 

B II e war das sogenannte Zigeunerlager, in dem familienweise Zigeuner untergebracht waren. Der Abschnitt B II f war für kranke Männer bestimmt. Im Abschnitt B III - genannt "Mexiko" - war bis zur Räumung des Lagers Anfang des Jahres 1945 mit dem Aufbau eines weiteren riesigen Lagerteils begonnen worden, jedoch waren bis dahin lediglich erst wenige Baracken errichtet worden.

 

Waren die Häftlinge bereits im Stammlager unter unerträglichen und kaum vorstellbaren sanitären und hygienischen Bedingungen zusammengepfercht, mangelte es bereits dort an einigermassen zureichender Kleidung sowie am Mindestmass der zur Lebenserhaltung notwendigen Ernährung und einer auch nur annähernd so zu nennenden ärztlichen Betreuung und Versorgung, so waren die Zustände im Lager Birkenau noch weitaus schlimmer. Ganz abgesehen von der physischen Ausbeutung durch härtesten Arbeitseinsatz und schwerste körperliche Misshandlungen hatten diese Zustände zur Folge, dass im Stammlager, aber in noch stärkerem Masse im Lager Birkenau Hunger und Elend herrschten, Krankheiten und Seuchen überhand nahmen und die Häftlinge weitgehend die Hoffnung auf Änderung oder Rettung verloren, so dass dort täglich Menschen an Hunger, Entkräftung und Krankheit starben. Um einerseits die von der nationalsozialistischen und der SS-Führung angestrebte "Ausschaltung" von KL-Häftlingen durch Tötung zu erreichen sowie Platz im Lager zu schaffen und "unnütze Esser" zu beseitigen, andererseits dadurch nicht die gleichfalls gewünschte Verwendung der Häftlinge als billiges "Arbeitsmaterial" unmöglich zu machen oder zu erschweren, wurden in immer stärkerem Masse die zu alten, zu jungen (Kinder), kranken oder sonst arbeitsunfähigen Häftlinge in unregelmässigen Abständen von den SS-Lagerärzten und ihren Helfern oder auch von sonstigen SS-Leuten ausgesucht (selektiert) und anschliessend massenhaft getötet.

 

Diese ständigen "Lagerselektionen" waren jedoch nicht die einzigen Aktionen, die der massenhaften Tötung von Häftlingen dienten. Unabhängig davon wurden im Rahmen der nationalsozialistischen Polenpolitik eine grosse Anzahl von Angehörigen der polnischen Oberschicht, polnischen Intelligenz und polnischen Widerstandsbewegung auf Grund von Exekutionsbefehlen aus dem RSHA und auf Grund von "Standgerichtsurteilen" eines "Polizeistandgerichts" in Kattowitz an der sogenannten Schwarzen Wand auf dem Hof zwischen Block 10 und 11 im Stammlager Auschwitz erschossen, ebenso polnische Geiseln. Ferner wurden in Auschwitz auf Grund des "Kommissarbefehls" des Oberkommandos der Wehrmacht vom 6.6.1941, der wiederum auf Ansichten und Wünschen Hitlers beruhte, eine Vielzahl von russischen Kriegsgefangenen erschossen oder anderweitig "liquidiert". Schliesslich brachte man in Auschwitz auch die in grosser Zahl nach dort deportierten Zigeuner um.

 

Vor allem aber diente das KL Auschwitz dazu, im Rahmen der sogenannten Endlösung der Judenfrage unzählige jüdische Menschen zu vernichten. Die Anordnungen dazu kamen - unter strenger Geheimhaltung - aus dem RSHA in Berlin, nachdem durch die "Wannsee-Konferenz" vom 20.1.1942 die organisatorische Grundlage für die "Endlösung der Judenfrage" gegeben worden war. Anfang 1942 trafen demgemäss in immer stärkerem Umfange die sogenannten RSHA-Transporte mit jüdischen Menschen aus allen Teilen des von den Nationalsozialisten beherrschten Europa im Lager Auschwitz ein. Die Transporte erfolgten unter unmenschlichen Bedingungen in Güterzügen. Die Züge mit jeweils Tausenden von Deportierten wurden bis zum Frühjahr 1944 von der am KL Auschwitz vorbeiführenden Eisenbahnstrecke Kattowitz-Krakau auf einem Anschlussgleis bis in die Nähe des Lagers geleitet, wo sie auf freiem Feld hielten. Dort wurden die Deportierten von SS-Mannschaften aus den Waggons getrieben und mussten auf einer 500 m langen, zu diesem Zweck erbauten Rampe, die 1943 durch eine Betonrampe ersetzt wurde, Aufstellung nehmen. Ab Frühjahr 1944 wurden die ankommenden Transportzüge auf einem inzwischen angelegten Anschlussgleis direkt in das Lager Birkenau geleitet, wo zwischen den Lagerabschnitten B I und B II eine Rampe mit drei Schienensträngen errichtet worden war.