Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.649

 

selbstverständlich nicht festgestellt. Diese Aufklärung des scheinbaren Widerspruchs hat das Schwurgericht überzeugt.

 

Die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen Ro. wird weiter durch eine Reihe anderer Zeugenaussagen gestützt: So hat der Zeuge Kle. - ehemaliger SS-Unterführer in der politischen Abteilung, im Jahre 1947 von einem amerikanischen Gericht wegen Misshandlung von Häftlingen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt und im Dezember 1949 entlassen - bekundet, an den besonderen, von Ro. geschilderten Fall erinnere er sich nicht mehr. Es sei aber nicht selten vorgekommen, dass Häftlinge wegen sogenannter "Rassenschande" eingeliefert worden seien. Diese Häftlinge hätten in der Regel die besondere Wut der SS-Angehörigen der politischen Abteilung erregt und seien deshalb schwer misshandelt worden. Gelegentlich sei es auch vorgekommen, dass Häftlinge so geschlagen worden seien, dass sie regungslos am Boden liegen blieben. Der Satz über die Entlassung aus dem Konzentrationslager sei ihm in Erinnerung, und zwar im Zusammenhang mit Schul. Genaueres könne er dazu nicht mehr sagen.

Kle. ist insoweit glaubwürdig. Er gehört zu den SS-Unterführern der politischen Abteilung, deren Glaubwürdigkeit bereits oben bei der Erörterung der Misshandlungen in der politischen Abteilung im allgemeinen dargelegt worden ist. Er hat die vorstehenden Angaben nur zögernd, nur auf Befragen, gemacht. Es war ihm offensichtlich unangenehm, den Angeklagten Schul., seinen damaligen Abteilungsleiter, belasten zu müssen. Nur ungern hat er sich die auch für ihn unangenehmen Vorfälle in Erinnerung gerufen. Um so wesentlicher ist es, dass Kle. entscheidende Punkte aus der Aussage des Zeugen Ro. bestätigt hat, auch wenn er sich an den bestimmten Fall nicht mehr erinnerte. Seine Aussage zeigt aber, dass das, was Ro. geschildert hat, nichts Ungewöhnliches und Unwahrscheinliches war, sondern eher ein für die Vorgänge in der politischen Abteilung charakteristischer Vorfall.

 

Gleiches gilt für den Zeugen Fas., den ehemaligen Stellvertreter Schul.s in der politischen Abteilung. Fas. hat u.a. auf die Frage, was in der politischen Abteilung mit einem Polen geschah, dem Geschlechtsverkehr mit einer deutschen Frau vorgeworfen wurde, erwidert: "Der wurde natürlich "begrüsst"." Auch er bezeichnet also den von Ro. geschilderten Vorfall als charakteristisch, wenn er sich auch an den Fall im Besonderen nicht erinnert. Dass er und Kle. sich an den besonderen Fall nicht erinnern, erklärt sich dadurch, dass derartige Vorgänge eben keine Einzelfälle waren und die SS-Unterführer keinen Anlass hatten, Einzelfälle dieser Art besonders im Gedächtnis zu behalten, im Gegensatz zum Zeugen Ro., der, wie ausgeführt, besondere Anhaltspunkte für die Erinnerung gerade an diesen Vorfall hatte. Fas. hat weiter bestätigt, dass ihm der Satz mit der Entlassung aus dem Konzentrationslager dem Sinne nach bekannt sei. Es sei in der politischen Abteilung überhaupt üblich gewesen, dass ausländische Häftlinge diese oder ähnliche Sätze nachsprechen mussten und misshandelt wurden, wenn sie dies nicht zustande brachten.

 

Fas. ist persönlich glaubwürdig. Er hat sich nach dem Kriege zunächst verborgen gehalten und bis kurz vor seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung im September 1967 unangefochten leben können. Wenige Wochen vorher war er ermittelt und in einem gegen ihn wegen seiner Tätigkeit in der politischen Abteilung anhängigen Verfahren verhaftet worden. Noch in der Hauptverhandlung war ihm die tiefe Erschütterung darüber deutlich anzumerken, dass er nun, nach so langer Zeit, sich für die damaligen Vorgänge verantworten musste. Dies hat ihn aber nicht veranlasst, den Versuch zu machen, sich nach Möglichkeit zu entlasten. Im Gegenteil hat er ohne sich selbst dabei zu schonen, seine Erinnerung ersichtlich angestrengt, um so wahrheitsgemäss wie eben möglich auszusagen. Er war bestrebt, alles wahrheitsgemäss zu bekunden, was er noch wusste. Dabei hat er auch ersichtlich in seinem Gedächtnis nach Einzelheiten gesucht, die eine günstige Wertung für den Angeklagten Schul. herbeiführen könnten. Er hat also auch nicht den Versuch gemacht, den Angeklagten Schul. unbedingt zu belasten.