Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.740 LG Frankfurt/M. 08.10.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.645

 

Lfd.Nr.740    LG Frankfurt/M.    08.10.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.646

 

II. « Der Sachverhalt »

 

Die nunmehr gegen den Angeklagten erneut durchgeführte Hauptverhandlung hat folgenden Sachverhalt ergeben:

 

Der jetzt 59 Jahre alte Angeklagte wurde in Osnabrück als Sohn eines Schlachtermeisters geboren und ist dort im Elternhaus zusammen mit einer Schwester und zwei Brüdern, die beide im 2.Weltkrieg gefallen sind, aufgewachsen. Er durchlief in Osnabrück die Volks- und Mittelschule und wechselte nach der mittleren Reife zum Gymnasium Karolinum in Osnabrück über. Mitbedingt durch den Schulwechsel ergaben sich auf dem Gymnasium beim Angeklagten Leistungsschwierigkeiten, was dazu führte, dass er nach Meppen/Ems zu einem dort als Schulrat tätigen Onkel kam, um die dortige Oberschule zu besuchen, an der er dann im Jahre 1933 das Abitur ablegte.

 

Nach bestandenem Abitur immatrikulierte der Angeklagte an der Universität Münster/Westfalen und nahm dort das Studium der Philologie auf. Kurze Zeit später trat er in Münster im Jahre 1933 dem "Stahlhelm" bei und nahm noch im selben Jahr an einem oder zwei Wehrsportkursen im Reichswehr-Sennelager teil. Als der "Stahlhelm" dann in die SA überführt wurde, trat der Angeklagte 1934 aus dieser Organisation aus, weil - wie er angibt - dort nurmehr "Rabaukentum" begonnen habe und "Aktionen" von der SA angehörenden Studenten gegen jüdische Professoren eingesetzt hätten. Sein Philologiestudium gab der Angeklagte nach 4 Semestern auf und wendete sich dem Medizinstudium zu, blieb aber weiterhin bis zum Herbst 1937 in Münster. Im November 1937 wechselte er zur Universität Rostock und setzte dort sein Medizinstudium fort.

 

In Rostock beantragte der Angeklagte alsbald seine Aufnahme in die Reiter-SS, weil er - wie er angibt - grosses Interesse am Reitsport gehabt habe und nun mit der Reiter-SS die Möglichkeit gegeben gewesen sei, diesen Sport zu betreiben. In dem Lebenslauf, der dem Aufnahmeantrag beizufügen war, gab der Angeklagte damals hinsichtlich seiner politischen Interessen und Tätigkeiten an, in Meppen zusammen mit 3 Kameraden aus seiner nationalsozialistischen Gesinnung keinen Hehl gemacht zu haben und mit den Kameraden beim dortigen Kreisleiter zusammengekommen zu sein, um sich bei ihm Rat und Hilfe zu holen. Wie er jetzt dazu erklärt, sind diese damaligen Angaben unrichtig und nur zur "Schönfärberei" gemacht worden, um in die Reiter-SS aufgenommen zu werden. Auf seinen Aufnahmeantrag hin wurde der Angeklagte unter dem Datum des 9.11.1937 in die Allgemeine SS aufgenommen.

 

Im Herbst 1939 begab sich der Angeklagte nach Prag, um dort weiter zu studieren, kam jedoch nicht zum Studium, da er auf Grund seiner SS-Zugehörigkeit kurz nach Beginn des Semesters für 2 Monate einem Sonderkommando zugeteilt wurde, das bei Prag eine Ölraffinerie bewachen musste. Im Anschluss an diesen Einsatz fuhr er nach Danzig, um dort sein Studium weiterzuführen. Ende Juni 1942 schloss er das Studium dann in Danzig mit dem Staatsexamen und der Promotion zum Dr.med. ab.

 

Bis zum Abschluss seines Studiums war er vom Militärdienst freigestellt gewesen, wurde nun aber wenige Tage nach Examen und Promotion für etwa 8 Wochen zum Sicherheitshilfsdienst in Danzig und daran anschliessend zur Waffen-SS eingezogen. Als Angehöriger der Waffen-SS kam er zunächst für etwa weitere 8 Wochen nach Graz zu einer Ausbildung an der Medizinischen Akademie der Waffen-SS und wurde dann Ende 1942 von Graz, wo er mit Abschluss der Ausbildung zum Hauptscharführer befördert worden war, als Truppenarzt zum Nachrichten-Ersatz-Regiment nach Nürnberg versetzt, dort am 20.4.1943 zum Untersturmführer und am 9.11.1943 zum Obersturmführer befördert.