Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXXIV

Verfahren Nr.732 - 746 (1970 - 1971)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.740 LG Frankfurt/M. 08.10.1970 JuNSV Bd.XXXIV S.645

 

Lfd.Nr.740    LG Frankfurt/M.    08.10.1970    JuNSV Bd.XXXIV S.645

 

4 Ks 2/63

 

Im Namen des Volkes

 

 

In der Strafsache gegen

 

den Facharzt für Frauenkrankheiten, jetzt prakt. Arzt Dr.med. Franz Bernhard L., geboren am 15.September 1911 in Osnabrück, wohnhaft in Elmshorn (Kreis Pinneberg), Deutscher, verheiratet,

 

wegen Mordes bzw. Beihilfe zum Mord

 

hat das Schwurgericht bei dem Landgericht in Frankfurt am Main auf Grund der Hauptverhandlung vom 20.8., 21.8., 24.8., 25.8., 27.8., 28.8., 3.9., 4.9., 10.9., 11.9., 17.9., 25.9., 1.10., 2.10., 5.10. und 8.10.1970 am 8.10.1970 für Recht erkannt:

 

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten und notwendigen Auslagen des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last.

 

 

GRÜNDE

 

I. « Verfahrensgeschichte »

 

Dem Angeklagten wird durch Anklageschrift vom 16.April 1963 in Verbindung mit dem daraufhin ergangenen Eröffnungsbeschluss vom 7.Oktober 1963 zur Last gelegt, im Frühjahr und Sommer 1944 im Bereich des Konzentrationslagers Auschwitz/Polen durch mehrere selbständige Handlungen Beihilfe zum Mord begangen zu haben - Verbrechen nach §§211, 49, 74 StGB. Er soll damals als SS-Obersturmführer und Lagerarzt in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen nach der Ankunft jüdischer Häftlingstransporte an der Rampe in Auschwitz-Birkenau Aussonderungen (Selektionen) durchgeführt beziehungsweise überwacht und ferner an den Gaskammern, in welche die bei den Selektionen ausgesonderte unbestimmte Vielzahl von Häftlingen anschliessend zur Vergasung transportiert worden sei, das Einwerfen von Zyklon B durch Sanitätsdienstgrade überwacht haben.

 

Auf Grund dieses Schuldvorwurfs stand der Angeklagte bereits im sogenannten 1.Auschwitzprozess in der Zeit vom 20.12.1963 bis zum 20.8.1965 - zusammen mit anderen Angeklagten - in Frankfurt/Main vor Gericht, kam während der damaligen Hauptverhandlung am 24.3.1965, nachdem er die Teilnahme an den Selektionen eingeräumt hatte, in Untersuchungshaft, in der er 3 Jahre und 3 Tage blieb, und wurde durch Urteil des damaligen Schwurgerichts vom 19./20.8.1965 240 wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in mindestens 4 Fällen und an mindestens 1000 Menschen unter Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft zu einer Gesamtzuchthausstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten und einer Nebenklägerin hin ist dieses Urteil durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.2.1969 241 aufgehoben worden, soweit der Angeklagte verurteilt worden war. In diesem Umfang ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Schwurgericht Frankfurt/Main zurückverwiesen worden.

 

240 Siehe Lfd.Nr.595a.

241 Siehe Lfd.Nr.595c.