Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.637

 

Der Angeklagte setzte sich dann in das Heimatgebiet ab und hielt sich bis Mitte August 1945 bei seinen Eltern in Berchtesgaden auf. Dann stellte er sich zu seiner Entlassung im Lager Winkel bei Berchtesgaden, wurde jedoch dort festgehalten und in das Lager Auerbach gebracht. Dort flüchtete er im Februar 1946 in der Uniform eines amerikanischen Leutnants. Danach beschaffte er sich falsche Papiere auf den Namen Klaus Werner Kru., geboren am 3.7.1916 in Bruch bei Eger/CSR und tauchte mit diesem Namen bis Mai 1955 unter.

 

Am 27.8.1937 hatte der Angeklagte die am 24.9.1914 in Bochum geborene Wilma Bon. geheiratet. Aus dieser Ehe gingen die Kinder Horst, geb. am 27.9.1937, und Erika Streitwieser, geb. am 9.2.1941 hervor. Diese Ehe ist durch Urteil des Landgerichts Linz vom 30.10.1944 - 1 Cg. 219/44 - aus beiderseitigem Verschulden geschieden worden, wobei das Verschulden des Angeklagten als überwiegend erklärt wurde.   Am 29.3.1945 heiratete der Angeklagte die am 3.10.1920 geborene Käthe Kru., nachdem bereits aus einer vorehelichen Verbindung der am 25.8.1944 in Goisern geborene Klaus Kru. hervorgegangen war. Die Ehe wurde vor dem Sonderstandesamt Mauthausen II durch den als Standesbeamten damals fungierenden Mitangeklagten Schul. geschlossen. Am 18.9.1951 beantragte die geschiedene Ehefrau des Angeklagten Streitwieser die Todeserklärung des Angeklagten. Das Amtsgericht Bochum erklärte den Angeklagten mit Beschluss vom 25.4.1953, der am 23.6.1953 rechtskräftig wurde, für tot.

 

Mit anonymen Schreiben an die Polizeistation in Porz, an die Kriminalpolizei in München und an die Kriminalpolizei in Berchtesgaden wurde darauf hingewiesen, dass der nunmehr in Heumar wohnende Klaus Kru. in Wirklichkeit Toni Streitwieser heisse und von der Polizei gesucht werde. Mit Einschreibebrief vom 16.5.1955 an den Generalstaatsanwalt in Köln, dort eingegangen am 25.5.1955, erstattete der Angeklagte Streitwieser wegen falscher Namensführung Selbstanzeige und bat von einer Bestrafung abzusehen. Von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten wurde im Hinblick auf das Straffreiheitsgesetz von 1954 abgesehen. Konkrete Anhaltspunkte, dass sich der Angeklagte während seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS strafbarer Handlungen schuldig gemacht haben könnte, lagen zum damaligen Zeitpunkt nicht vor.

Durch Urteil der 2. grossen Strafkammer des Landgerichts in Aachen vom 30.10.1956 wurde der Angeklagte wegen Abgabenhinterziehung und Verstosses gegen das Viehseuchengesetz zu einer Gefängnisstrafe von 3 Monaten und zu einer Geldstrafe von 200.- DM verurteilt, wobei die verhängte Gefängnisstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

 

Die Feststellungen zum Werdegang des Angeklagten Streitwieser beruhen auf seiner Einlassung und den aus dem Sonderordner "Personalpapiere Streitwieser" verlesenen Urkunden, deren inhaltliche Richtigkeit vom Angeklagten bestätigt worden ist.

 

Zum Charakterbild des Angeklagten Streitwieser, insbesondere zu seiner inneren Einstellung zu den Geschehnissen in den Konzentrationslagern und seiner daraus resultierenden äusseren Haltung gegenüber den Häftlingen, hat das Gericht die folgenden Feststellungen getroffen, die für die spätere Beweiswürdigung, für Schuld- und Straffrage in den Einzelfällen gleichermassen von genereller Bedeutung sind.

 

In erstaunlicher Übereinstimmung ergeben zahlreiche Zeugenaussagen zunächst ein äusseres Bild des Angeklagten Streitwieser, das genau mit dem in der Hauptverhandlung von ihm gewonnenen Eindruck übereinstimmt. Hiernach war Streitwieser ein forscher, strammer SS-Mann, eine Landsknechtnatur von straffem, militärischem Auftreten, dabei eitel und auf sorgfältige Kleidung bedacht. Immer angezogen "wie aus dem Ei gepellt", lief er geschniegelt und gebügelt durch das Lager und wirkte hierbei auf Häftlinge und SS-Leute vielfach arrogant. Bei den Häftlingen war sein Spitzname "der schöne Toni". Bedingungslos diente und gehorchte er dem Verbrecherregime, dem er sich als strammer und schneidiger Gefolgsmann verschrieben hatte. An dem Posten, wo man ihn hinstellte, in dem