Justiz und NS-Verbrechen Bd.XXVI

Verfahren Nr.648 - 661 (1967)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.659a LG Köln 30.10.1967 JuNSV Bd.XXVI S.589

 

Lfd.Nr.659a    LG Köln    30.10.1967    JuNSV Bd.XXVI S.623

 

konnte, die Totenzahlen nach aussen zu verschleiern. Den erwähnten Erlass aber hat er nach der Überzeugung des Schwurgerichts gekannt, weil er der einzige Standesbeamte im Konzentrationslager war und dieser Erlass demnach ihm vorgelegt worden ist. Anderenfalls wäre im Standesamt Mauthausen II nicht entsprechend diesem Erlass verfahren worden. Dass der Erlass direkt den Untergebenen des Angeklagten, welche die Sterbeurkunden ausstellten, zugegangen sein könnte, ohne dass der Angeklagte davon Kenntnis erlangt und seine Untergebenen entsprechend eingewiesen hätte, ist ausgeschlossen, weil Schul. verantwortlich für die Führung der standesamtlichen Bücher war. Die mit den standesamtlichen Arbeiten eingesetzten SS-Unterführer waren lediglich von Schul. beauftragte Kräfte und nicht als Standesbeamte ausgebildet, wie der Zeuge Karl-Richard Sch., der längere Zeit auf der politischen Abteilung mit standesamtlichen Arbeiten beschäftigt war und hauptsächlich Sterbeurkunden geschrieben hat, glaubwürdig angegeben und Schul. selbst bestätigt hat.

 

Was den Zeitpunkt der Einrichtung des Standesamtes Mauthausen II betrifft, so war eine zweifelsfrei mit dem Original übereinstimmende Kopie des "alphabetischen Namensverzeichnisses zum Sterbebuch des Standesamtes Mauthausen II für das Jahr 1941" Gegenstand der Hauptverhandlung (Ordner Dokumente Arolsen Invalidentransporte). Dieses Verzeichnis trägt auf der ersten Seite den in Klammern gesetzten handschriftlichen Vermerk "Vom 1.9.1941 bis 31.12.1941". Da dieser Vermerk mit den Angaben Schul.s, er sei im Sommer 1941 auf dem Lehrgang in Badenweiler gewesen und habe im Herbst des gleichen Jahres mit seiner Tätigkeit als Standesbeamter begonnen, übereinstimmt, hat das Schwurgericht keinen Zweifel, dass das Standesamt Mauthausen II im Herbst 1941 eingerichtet worden ist.

 

Der Angeklagte Schul. war im Konzentrationslager Mauthausen ferner - neben seinen übrigen Funktionen - als SS-Gerichtsführer tätig. Die Funktionen des SS-Gerichtsführers, der auch SS-Gerichtsoffizier oder Gerichts-SS-Führer genannt wurde, waren folgende:

Er hatte in Fällen von Disziplinwidrigkeiten oder Straftaten von Angehörigen der SS des Hauptlagers und der Nebenlager eine Untersuchung einzuleiten und zu führen, Zeugen zu vernehmen und sonstige Beweise zu erheben. Nach Abschluss der Untersuchung hatte er einen zusammenfassenden Bericht zu machen und diesen mitsamt den erhobenen Beweisen dem SS-Gerichtsherrn bzw. dem SS-Gericht zuzuleiten. Gegenstand solcher Untersuchungen waren z.B. Wachvergehen und Urlaubsüberschreitungen der SS-Wachmannschaften, Unterschlagungen von Zahngold, Schlägereien zwischen SS-Angehörigen und ähnliches.

Die gleiche Ermittlungs- und Untersuchungstätigkeit führte der SS-Gerichtsführer auch aus, wenn Aussenstehende, wie Zivilisten oder Wehrmachtsangehörige, beteiligt waren, sofern die Angelegenheit im Zusammenhang mit dem Konzentrationslager und dessen SS-Angehörigen stand. Der SS-Gerichtsführer hatte auch die Befugnis, im Zuge seiner Untersuchungen Personen vorläufig festzunehmen, und zwar auch aussenstehende Personen.

Zur Tätigkeit des SS-Gerichtsoffiziers gehörte weiter die Prüfung, ob bei Arbeitsunfällen von Häftlingen strafbare Handlungen vorlagen. War in diesen Fällen ein Zivilist beteiligt, so wurde die Sache nach Abschluss der Untersuchung an die zuständige Kriminalpolizeistelle oder an die Staatsanwaltschaft abgegeben.

 

Endlich gehörten zur Zuständigkeit des SS-Gerichtsführers die Untersuchung sogenannter "unnatürlicher Todesfälle" von Häftlingen. Es waren dies Todesfälle, bei denen den Umständen nach Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der betreffende Häftling nicht eines natürlichen Todes gestorben war, sondern z.B. auf der Flucht erschossen worden war oder Selbstmord begangen hatte. Solche Fälle waren sehr häufig. Allerdings wurde keineswegs etwa in allen Fällen, in denen ein Häftling getötet worden war, Untersuchungen durch den SS-Gerichtsführer eingeleitet. Meistens wurde vielmehr der Todesfall ohne Mitwirkung des SS-Gerichtsführers vertuscht und als natürlicher Tod angegeben. Das Schwurgericht hat keine Feststellungen im einzelnen dazu getroffen, inwieweit der Angeklagte daran beteiligt war oder davon gewusst hat, weil es für dieses Verfahren nicht von Bedeutung ist.