Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.617

 

Die damaligen Mitangeklagten Jüh., Lac., Sch., Unv. und Zie. wurden jeweils von allen sie betreffenden Vorwürfen freigesprochen. Das Schwurgericht liess sich dabei von folgenden Grundüberlegungen leiten:

 

Sch. gehörte bis Mitte August 1942 zur Sobibor-Mannschaft und schaffte als Einkäufer für das Lager und später als Verwaltungsführer im Lager wichtige ursächliche Voraussetzungen für den funktionierenden Aufbau und Ablauf der Vernichtungsorganisation. Auch der Tatbeitrag Unv.s war bei der Gepäckannahme, -sortierung und -wegschaffung für den reibungslosen Ablauf der Massenvernichtung im Rahmen des Lagerzwecks ebenfalls unmittelbar notwendig und fördernd, und zwar im Zeitraum Ende Mai / Anfang Juni 1943 bis zur Lagerauflösung. Lac. wiederum förderte den Lagerbetrieb dadurch, dass er als Führer der ukrainischen Wachkompanie in der Zeit Anfang Juni 1942 bis Ende September 1942 - vgl. hierzu IV.4.) der Feststellungen - die Ukrainer entsprechend den Anordnungen der Lagerleitung zur Bewachung des Lagers, zur Bewachung und zum Antreiben angekommener Transporte und zur Bewachung von Einzelkommandos einsetzte. Jüh. und Zie., bis etwa März 1943 Mitglieder der Lagermannschaft im Lager Belzec, waren anschliessend in dem Arbeitslager Dorohucza eingesetzt worden, von dort nach Auflösung des Lagers nach Sobibor abgeordnet, wo sie kurz nach dem 5.November 1943, der Vernichtungsbetrieb war seit einigen Wochen eingestellt, eintrafen. Zu jener Zeit befanden sich allerdings noch mindestens 30 "Arbeitsjuden" im Lager, die zwischenzeitlich von Treblinka aus geholt worden waren. Jüh. und Zie. gehörten neben anderen zu einem Absperrkommando, das die Flucht der Arbeitsjuden verhindern sollte, als jene schliesslich erschossen wurden aufgrund einer Anordnung, die sie nicht getroffen hatten.

 

Die Angeklagten Lac., Sch., Unv., Jüh. und Zie. sind letztlich freigesprochen worden, weil sie sich unwiderlegt in einem unverschuldeten tatsächlichen Irrtum dahingehend befanden, ihnen drohe aus der Person des Inspekteurs Christian Wirth oder von anderen höheren Vorgesetzten der "Aktion Reinhard" - abgesehen von den Lagerkommandanten - unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben, wenn sie entgegen dem Befehl bei der Vernichtung der Juden in Sobibor nicht mitgewirkt hätten. Zu dieser Wertung kam das Schwurgericht nicht zuletzt aufgrund der Feststellungen, dass jeder der in diesem Zusammenhang Genannten sich im Rahmen seiner Möglichkeit energisch darum bemüht hatte, aus dem Tätigkeitsbereich der Judenvernichtung fortzukommen. Bei Jüh. und Zie. waren zwar ausdrückliche Bemühungen dieser Art nicht feststellbar. Sie waren andererseits nach Sobibor gekommen, ohne jede Vorstellung, dass sie dort noch an Tötungen teilnehmen würden. Im konkreten Zeitpunkt glaubten sie sich dann dem Befehl zur ohnehin geringen unterstützenden Tätigkeit nicht entziehen zu können. Sie waren hiernach wegen unwiderlegter vermeintlicher (putativer) Nötigungsnotstandslage entschuldigt.

 

Über das Lebensschicksal anderer deutscher Mitglieder der Lagermannschaft, wie etwa Michel, Weiss, Groth und Steubel oder auch Bredow und Ludwig ist nichts Zuverlässiges mehr feststellbar.

 

VII. « Beweismittel und Beweiswürdigung »

 

1. Das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Mitwirkung des Angeklagten beim allgemeinen Vernichtungsvorgang

 

a) Die Einlassung des Angeklagten und ihre Würdigung

 

Der Angeklagte hat seinen persönlichen Werdegang einschliesslich seiner Tätigkeit in der "Euthanasie-Aktion" und die Ereignisse bis zum Eintreffen im Lager Sobibor im Sinne der vorstehend getroffenen Feststellungen glaubhaft bestätigt. Seine Einlassung in der Hauptverhandlung ist insoweit plausibel, auch in Kleinigkeiten in Übereinstimmung mit früheren