Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

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Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.612

 

nur bei den Deutschen liege die Berechtigung zu töten - den Häftling anschliessend demonstrativ vor den Augen der übrigen Arbeitsjuden eigenhändig erschossen, können nicht getroffen werden.

 

5. Fall 35358

 

Im Fall 35 der Anklageschrift ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, er habe zwischen Oktober 1942 und Oktober 1943 einen jüdischen Zahnarzt, bei dem er Lebensmittel gefunden habe, erschossen.

 

Hierzu sind die folgenden Feststellungen getroffen worden:

 

Am 6.November 1942 war der Zeuge Kurt Tho. mit einem grossen Transport, mindestens 2.000 Menschen, von Piaski nach Sobibor gekommen. Er lernte dort, möglicherweise im Zusammenhang mit seiner Fleckfiebererkrankung, die er wohl im Dezember 1942 erlitten hatte, den aus Kolo in Polen stammenden Zahnarzt Dr. Bresler kennen, welcher seinerseits mit einem Transport von Izbica gekommen war und im Lager zusammen mit seinem Sohn lebte. Dr. Bresler war zunächst als Allgemeinarzt für die Deutschen und Ukrainer eingesetzt worden. Anfang des Jahres 1943 gab er Tho. den Ratschlag, sich zu melden, wenn Frenzel anlässlich eines Appells fragen sollte, ob ein Sanitäter unter den Arbeitsjuden sei. Es ereignete sich in den nächsten Tagen das, was Dr. Bresler erwartet hatte. Frenzel forderte einen eventuell vorhandenen Sanitäter auf, sich zu melden und kommandierte Tho., der daraufhin vorgab, er sei entsprechend ausgebildet, von seinem bis dahin eingenommenen Arbeitsplatz im Sortierkommando ab und befahl ihm, sich in Zukunft um Kranke zu kümmern. Zeitlich fiel das zusammen mit der Änderung in der Praxis, wie mit Erkrankten zu verfahren war. In der Pflege der Erkrankten und in den Bemühungen, sie innerhalb der zur Verfügung stehenden 3 Tage möglichst wieder so auszukurieren, dass sie arbeitsfähig waren, war der Zeuge Tho. weitgehend auf sich allein gelassen. Dr. Bresler konnte ihn nur durch Ratschläge unterstützen, eigentliche medizinische Leistungen an den jüdischen Kranken waren ihm nicht erlaubt. Ende März oder Anfang April 1943 wurden zwei weitere jüdische Ärzte, Dr. Subise und Dr. Ninc 359, beides Holländer, aus eintreffenden Transporten herausgenommen und zur medizinischen Versorgung der Ukrainer und Deutschen im Lager eingesetzt. Seit ihrem Eintreffen war Dr. Bresler ausschliesslich mit der zahnärztlichen Versorgung der ukrainischen Wachmänner betraut. Was aus den beiden holländischen Ärzten geworden ist, steht nicht fest.

 

Dr. Bresler genoss unter den Arbeitsjuden eine gewisse Sonderstellung. Er war mittelgross, von schlanker, leicht vorgebeugter Haltung, hatte noch recht volles, angegrautes Haar, war etwa Mitte 40 / Anfang 50 Jahre alt. Gegen Ende der Lagerzeit musste er an den tagtäglichen Appellen nicht regelmässig teilnehmen.

 

Sichere Feststellungen darüber, was aus Dr. Bresler und seinem Sohn im Lager geworden ist, insbesondere, ob sie beide oder einer von ihnen bis zum Aufstand oder sogar noch danach gelebt haben, konnten in dieser Hauptverhandlung nicht mehr getroffen werden. Insbesondere ist eine Feststellung dahingehend, der Angeklagte habe Dr. Bresler bzw. einen Mann, der so oder auch nur ähnlich hiess oder genannt wurde oder der als der "Dentist" in Erscheinung trat, im Lager eigenmächtig getötet, nicht zu treffen.

 

358 Siehe auch Bd.XXV S.137 ff.

359 Richtig: Dr. Soubice und Dr. Nink.