Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.611

 

Menschen. Unter Anführung Wagners misshandelten Wachmänner die Juden daraufhin, indem sie wahllos und willkürlich mit Peitschen, Brettern und anderen Gegenständen auf diese einschlugen. Viele der, zumeist am Kopf, schwer getroffenen Häftlinge stürzten zu Boden. Auch am Boden Liegende wurden noch geschlagen. Zahlreiche jüdische Menschen sind durch diese Misshandlungen getötet worden. Jedenfalls befanden sich am nächsten Morgen mindestens weitere 200 Tote auf jenem Platz. Die noch Lebenden wurden am nächsten Morgen vergast, nachdem die Gaskammern wieder betriebsbereit waren. Die Leichen der in der Nacht Umgekommenen wurden von jüdischen Arbeitshäftlingen - einer Gruppe von etwa 20 bis 30 jungen Männern - zur Lorenbahn geschleppt und mit dieser sodann zum Lager III transportiert; dort verbrachte man die Leichen zu den Gruben.

 

Es ist nicht mehr feststellbar, dass der Angeklagte Frenzel die Gruppe der Arbeiter zusammenstellte und anordnete, dass jene die Leichen zu den Loren zu bringen hatten. Weiterhin ist auch nicht festzustellen, dass Frenzel beobachtet hätte, dass sich der Zeuge Fre., der zu jenem Arbeitskommando gehörte, bei der Arbeit ein wenig ausgeruht und dass er gesehen hätte, wie ein von Fre. für tot gehaltener Jude sich in diesem Augenblick aufgerichtet und Fre. gefragt hätte, wie weit es noch sei. Es kann insbesondere auch nicht festgestellt werden, dass Frenzel daraufhin Fre. geschlagen und den zur Überraschung Fre.s zu diesem Augenblick doch noch Lebenden erschossen hätte.

 

3. Fall 21356

 

Im Fall 21 der Anklageschrift ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, zwischen Dezember 1942 und Oktober 1943 nach der Ankunft eines Transportes ein kleines Kind, das er in einem Bahnwaggon zurückgelassen vorgefunden habe, an den Füssen ergriffen, es mit dem Kopf gegen die Wand des Waggons geschlagen und hierdurch getötet zu haben.

 

Nach allem was bekannt geworden ist in der Hauptverhandlung, geht das Schwurgericht zwar davon aus, dass es wahrscheinlich beim oder nach dem Entladen angekommener Transporte derartige Vorfälle gegeben hat, wie sie dem Anklagevorwurf entsprechen, dass der Angeklagte sich in einem bestimmten Falle so verhalten hätte, ist jedoch nicht feststellbar.

 

4. Fall 22357

 

Im Fall 22 soll der Angeklagte bei einem Morgenappell einen Juden, der sich zuvor in der Baracke die Pulsadern geöffnet hatte, herausbringen lassen, den noch Lebenden beschimpft, mit der Peitsche geschlagen und ihn sodann an Ort und Stelle erschossen haben, und zwar in Anwesenheit der noch angetretenen übrigen "Arbeitsjuden".

 

Im Zusammenhang mit diesem Vorwurf ist feststellbar, dass es im Lager Sobibor wiederholt vorgekommen ist, dass Arbeitsjuden, die die seelische und körperliche Belastung, der sie sich ausgesetzt sahen, nicht mehr ertrugen und dieserhalb Selbstmord begingen oder zu begehen versuchten. Fest steht auch, dass es - zumeist durch Frenzel - anlässlich der Morgenappelle überprüft wurde, ob sämtliche Arbeitsjuden angetreten waren und dass Menschen, die wegen Krankheit oder sonst eigenmächtig in der Baracke zurückgeblieben waren, in derartigen Fällen häufig herausgeholt wurden. Hierzu wird auf die Feststellungen, die allgemeine Beteiligung Frenzels am Lagerbetrieb betreffend, verwiesen. Weitergehende Feststellungen dahin, Frenzel habe unter den besonderen Begleitumständen - Ansprache an den Sterbenden, bzw. die angetretenen Arbeitsjuden des Inhalts, kein Jude habe das Recht, sich das Leben zu nehmen,

 

356 Siehe auch Bd.XXV S.128 ff.

357 Siehe auch Bd.XXV S.134 f.