Justiz und NS-Verbrechen Bd.XLVI

Verfahren Nr.892 - 897 (1984 - 1985)

Prof. Dr. C.F. Rüter, Dr. D.W. de Mildt
© Stichting voor wetenschappelijk onderzoek van nationaal-socialistische misdrijven, Amsterdam

> zum Inhaltsverzeichnis

Lfd.Nr.897 LG Hagen 04.10.1985 JuNSV Bd.XLVI S.543

 

Lfd.Nr.897    LG Hagen    04.10.1985    JuNSV Bd.XLVI S.607

 

worden, hatte wenige Tage Urlaub erhalten und war nach Italien in Marsch gesetzt worden, wo er noch Ende Oktober 1943 eintraf.

 

Der Angeklagte wusste, dass die jüdischen Menschen unrechtmässig getötet wurden, dass die Massentötung im Rahmen der "Endlösung" und der unter anderem von Hitler und Himmler ausgegangene, von Globocnik und Wirth ausgearbeitete Plan zur Vernichtung auch der nach Sobibor gebrachten Opfer auf der Grundeinstellung der nationalsozialistischen Führung vom Lebensunwert der jüdischen Rasse beruhten. Er billigte die "Aktion Reinhard" und machte die massenhafte Tötung jüdischer Menschen in Sobibor zu seiner eigenen Sache. Die ihm bekannten rassenideologischen Motive der obersten nationalsozialistischen Führungsspitze waren ihm bekannt. Dass er sie zur alles beherrschenden Grundeinstellung seines Handelns gemacht hätte, kann nicht festgestellt werden; es lagen vielmehr noch weitere, ihn beeinflussende Motive vor: Seiner durch persönliche Disposition und Erziehung geprägten Einstellung entsprach es, Befehle zu befolgen. Er hielt die Tötung der Menschen im Lager für unrecht, wäre lieber zum Fronteinsatz gekommen, sah aber aufgrund der Verpflichtung zur Geheimhaltung und fehlender Beziehung nach "oben" kaum Möglichkeiten, die Aufhebung der "uk"-Stellung zu erreichen, bemühte sich aufgrund seiner bejahenden inneren Einstellung zu seiner Tätigkeit im Lager auch nicht ernsthaft darum.

 

Durch den früheren Einsatz in der SA und unter dem sich mit Kriegsausbruch ständig noch verstärkenden Propagandaeinfluss, dem seit Zugehörigkeit zur Euthanasieaktion bestehenden Druck durch die Führung der "T4" war er im eigenständigen Denken und in der Kritikfähigkeit beeinflusst, meinte, durch seine Tätigkeit einen wichtigen Dienst zu erfüllen. Unter dem Eindruck rasch anwachsender Macht, kaum eingeschränkter Herrschaft über Menschen, die ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren, noch begünstigt durch Einflüsse aus der Gruppe der Wachmänner, von denen er z.B. Wagner mit seiner menschenverachtenden Brutalität als Vorbild empfand, steigerte sich sein Bedürfnis, bei Vorgesetzten Ansehen zu gewinnen, seine Verlässlichkeit und Unentbehrlichkeit im Lager unter Beweis zu stellen. Ihn, der bis dahin nur untergeordnete Rollen hatte ausfüllen können, erfüllte es mit Genugtuung, einer der wichtigsten Männer des Lagers zu sein. Bewusst sah er sich als wichtiges Glied in der Vernichtungskette, betrachtete die Tätigkeiten der anderen deutschen Lagerangehörigen als notwendige und willkommene Ergänzung des eigenen Tatanteils an der massenhaften Tötung.

 

Frenzel wusste, dass der Vernichtungsplan darauf abstellte, dass die Menschen der planmässigen Massentötung unentrinnbar ausgeliefert waren, wenn sie zusammengetrieben, zumeist in Zügen verladen und auf dem Weg in Richtung Sobibor waren, dass der Antransport unmittelbar mit der Einlieferung ins Lager zur Vergasung überging, so bereits ein wichtiger Teil des Tatgeschehens war. Ihm war bekannt, dass zumindest all jene Juden, die nicht aus Westeuropa in Personenzügen antransportiert wurden, durch die Art und Weise, wie sie in den Güter- bzw. Viehwaggons zusammengepfercht transportiert wurden, besondere Qualen erlitten, dass jedoch allen durch die Gaskammern geschleusten Menschen in den 20-30 Minuten ihres furchtbaren Todeskampfes grauenhafte Schmerzen und kaum noch zu überbietende Qualen zugefügt wurden, bevor sie erstickten, und auch, dass jenen jüdischen Menschen, die durch Einzel- bzw. Gruppenerschiessungen in Sobibor umgebracht wurden, dadurch seelische Leiden zugefügt wurden, dass sie zusätzlich zu der bangen, viele Minuten andauernden Todeserwartung zumeist jene grauenvolle Atmosphäre an den offenen Leichengruben, im Anblick verwesender oder verbrannter Menschenleiber erleiden mussten, bevor sie erschossen wurden.

 

Das Schicksal der im Rahmen der Massentötungen in den Gaskammern und im "Lazarett" umgebrachten Menschen war dem Angeklagten jedoch gleichgültig und berührte ihn ebenso wenig wie die Qualen der tagtäglich im Lager von ihm erniedrigten, gepeinigten und in einigen Fällen getöteten Arbeitsjuden. Ihm war es, ebenso wie den eigentlichen Befehlsgebern,